Wiesen-Bewässerung – ein Problem für Kulturlandvögel

Der Artenreichtum an Brutvögeln, aber auch an Tagfaltern, Heuschrecken und Gefässpflanzen ist in den inneralpinen Tälern und in den Südalpen besonders hoch. Viele Arten sind von einer extensiv betriebenen Landwirtschaft abhängig. Bewässerungsprojekte, die in jüngster Zeit vermehrt installiert wurden, führen zu Konflikten mit dem Vogelschutz. Viele Kulturlandvogelarten, besonders aber Bodenbrüter wie das Braunkehlchen, können durch das Bewässern der Wiesen und die daraus folgende frühere Schnittnutzung ihren Lebensraum verlieren. Ausserdem verarmt die Pflanzenwelt und Tagfalter, Heuschrecken und andere Insekten finden schlechtere Lebensraumbedingungen vor.

Deshalb hält die Schweizerische Vogelwarte in Gebieten mit wichtigen Kulturlandvogel- Vorkommen Bewässerungen für fragwürdig und verlangt, dass zumindest die Einhaltung der folgenden Rahmenbedingungen erfüllt wird:

  • Die faunistischen und floristischen Grundlagen für die Umweltverträglichkeitsprüfung müssen sorgfältig erhoben werden.
  • Im Natur- und Heimatschutzgesetz als schützenswert bezeichnete Biotoptypen und inventarisierte Lebensräume dürfen in keiner Weise beeinträchtigt werden.
  • Die in der Region tätigen Naturschutz-Organisationen müssen rechtzeitig in den Planungsprozess einbezogen werden.
  • Bewässerungen sollen höchstens dann realisiert werden, wenn sie der Ertragssicherung in Trockenjahren, nicht aber der Ertragssteigerung dienen.
  • Der Schnitttermin muss in Fluren mit hoher Bodenbrüterdichte je nach Höhenlage auf frühestens den 5. Juli (montane und unterste subalpine Stufe) bzw. den 15. Juli (subalpine Stufe) festgelegt werden.
  • Bei der Festlegung der Bewässerungspraxis ist auf die Bedürfnisse gefährdeter Arten Rücksicht zu nehmen.
  • Illegale Wasserentnahmen dürfen durch ein Bewässerungsprojekt nicht nachträglich legalisiert werden, eine genügende Restwassermenge muss gewährleistet sein.
  • Eine Kartierung, welche die Eignung oder Nicht-Eignung der Böden für Bewässerung dokumentiert, muss vorliegen.
  • Es ist darauf zu achten, dass in jeder Landschaftskammer ein Teil der Wiesen unbewässert bleibt.
  • In Trockengebieten sind Kulturen mit hohem Wasserbedarf fragwürdig. Alternative Nutzungen mit weniger Wasserverbrauch, beispielsweise der Gebirgs-Ackerbau, sollen geprüft werden.
  • In faunistisch-floristisch wertvollen Gebieten sind die Auswirkungen der Bewässerung durch ein Monitoring zu überprüfen und nötigenfalls ist korrigierend einzugreifen.

Situationsanalyse

Der Artenreichtum an Brutvögeln, aber auch an Tagfaltern, Heuschrecken und Gefässpflanzen ist in den inner alpinen Tälern und in den Südalpen besonders hoch. Dieser Umstand ist unter anderem der Leistung der Landwirte zu verdanken, die auch zahlreiche Grenzertragsflächen bewirtschaften. Die Bestände mehrerer einst weit verbreiteter Brutvogelarten des Kulturlandes (z.B. des Braunkehlchens) sind im Mittelland, im Jura und in den Nordalpen verschwunden oder stark dezimiert. Das zukünftige Vorkommen dieser Arten in der Schweiz ist deshalb vom Weiterbestand der naturnah praktizierten Berglandwirtschaft in den Zentral- und Südalpen abhängig. Deshalb setzt sich die Schweizerische Vogelwarte seit Jahren für eine traditionell produzierende und wildtierfreundliche Berglandwirtschaft ein.

Ebenso wie die Kulturlandvögel ist auch die naturnahe Berglandwirtschaft in den Zentral- und Südalpen gefährdet. Die Verwaldung im Tessin und die Aufgabe von Teilen der einzigartigen Kulturlandschaft im Wallis beweisen dies. Zum wirtschaftlich schwierigen Umfeld, in welchem sich die Berglandwirtschaft befindet, gesellen sich die Auswirkungen des Klimawandels: Zwar gibt es in den inneralpinen Tälern und im Tessin seit je Trockenjahre – ihre Frequenz hat sich jedoch in letzter Zeit erhöht, und diese Tendenz wird sich vermutlich weiter verstärken. Trockenjahre führen zu stark vermindertem Graswuchs, so dass die Landwirte mit grossen Ertragsschwankungen konfrontiert sind. Die in vielen Berggebieten beobachtete Aufstockung der Viehbestände, welche unter anderem durch die staatlichen Tierhaltungsbeiträge gefördert wird, führt anderseits zu einem erhöhten Bedarf an eiweissreichem, qualitativ hochwertigem Raufutter. Dieser kann in vielen von Natur aus trockenen Regionen nur durch vermehrte Bewässerung der Grünland-Parzellen befriedigt werden. So wurden denn auch in den letzten Jahren verschiedene Trockengebiete der inneren Alpen neu mit modernen Bewässerungsanlagen versehen, teilweise wurden diese von einzelnen Landwirten in Eigeninitiative errichtet, teilweise entstanden sie in Zusammenhang mit Meliorationen. Die folgenden Ausführungen beziehen sich nur auf Bewässerung mittels moderner Anlagen, nicht auf die traditionell übliche Bewässerung mittels Bewässerungsgräben.

Welche Konflikte bestehen zwischen der Bewässerung der Trockenstandorte und Vogelschutzanliegen?

Durch Bewässerung wird eine Wiese schneller schnittreif, der Schnittzeitpunkt kann vorverschoben werden. Neue Erntetechniken, insbesondere die Silage, werden möglich, eventuell kann sogar ein Schnitt mehr geerntet werden. Negative Folgen davon sind:

  • Zerstören von mit Eiern oder Jungen besetzten Nestern der in Wiesen brütenden Vogelarten (insbesondere Wachtel, Wachtelkönig, Feldlerche, Braunkehlchen) durch frühes Ausmähen.
  • Schmälerung der Nahrungsbasis (Insekten, insbesondere Grossinsekten und Wiesenameisen) für die Brutvögel der Heuwiesen und der umliegenden Strukturen und Biotope
  • Auflösung des Lebensraumverbunds für xero-/ thermophile Organismen

Bei unsorgfältiger Planung oder Bewässerungspraxis werden, wie mehrere Beispiele zeigen, nicht nur die Zielflächen, nämlich die Heuwiesen, sondern auch umliegende Strukturen und Randzonen von Naturschutzflächen (Steinriegel, Mauern, Hecken, Trockenwiesen, Felsensteppen) bewässert. Dadurch werden nicht nur darin befindliche Bruten von Vögeln beeinträchtigt, sondern auch geschützte Insekten-, Reptilien-, und Pflanzenarten werden ihres Lebensraums beraubt.

Ein weiteres, allerdings nicht primär den Vogelschutz betreffendes Problem, sind illegale Wasserentnahmen aus kleinen Fliessgewässern zu Zeiten mit geringer Wasserführung. Der Lebensraum der Gewässerfauna wird dadurch je nach Ausmass beeinträchtigt oder vernichtet. Auch der Wasserhaushalt der von Gewässern abhängigen Feuchtgebiete kann dadurch gestört werden.

Gilde Beispiele Art der Beeinträchtigung
Bodenbrüter der spät geschnittenen Heuwiesen. Wachtelkönig, Wachtel, Feldlerche, Braunkehlchen Diese Arten sind direkt gefährdet, denn übermässige Beregnung der Nester kann zu Brutverlusten führen. Weil das Gras mit Beregnung früher reif wird, kann der Schnittzeitpunkt vorverschoben werden – die Nester werden ausgemäht; durch häufigere Mahd und verändertes Mikroklima in den Wiesen (es wird kühler und feuchter), nimmt die Insektenvielfalt und –menge und damit die Nahrungsbasis für Brutvögel ab. Bedingt durch dichteren Graswuchs in den bewässerten Wiesen ist die Beute zudem schwerer erreichbar.
Arten des ungenutzten oder extensiv beweideten trockenen Grünlandes (zum Beispiel der Felsensteppen). Steinhuhn, Heidelerche, Baumpieper, Brachpieper, Steinrötel, Steinschmätzer Zippammer, Ortolan Diese Arten sind vor allem indirekt gefährdet: Durch die verbesserte Ertragslage in den bewässerten Wiesen wird die Nutzung der meist steilen Trockenstandorte für den Landwirt weniger interessant, sie verganden und verbuschen und können letztlich nicht mehr als Brutbiotop genutzt werden. Bei unsorgfältiger Projektplanung oder Bewässerungspraxis kann es zudem vorkommen, dass die Trockenrasen mitbewässert werden und degradieren.
Arten, die in Strukturen (zum Beispiel Hecken, Wälder, Mauern, Saumstreifen) der Umgebung brüten, und/oder in trockenen Heuwiesen und Trockenstandorten ihre Nahrung suchen. Kuckuck, Zwergohreule, Wiedehopf, Wendehals, Grünspecht, Schwarzkehlchen, Neuntöter, Rotkopfwürger, Alpenkrähe, Goldammer, Zaunammer Die Nahrungsbasis dieser Arten wird geschmälert, denn durch häufigere Mahd und verändertes Mikroklima in den bewässerten, dichteren Wiesen (es wird kühler und feuchter) nimmt die Insektenvielfalt und –menge (zum Beispiel der Tagfalterraupen, Grossheuschrecken) sowie deren Erreichbarkeit ab.
Arten, die in xerothermen Heckenlandschaften brüten, aber die umliegenden Trockenwiesen kaum zur Nahrungssuche benutzen. Sperbergrasmücke, Dorngrasmücke, Orpheusspötter Diese Arten leiden vor allem bei unsorgfältiger Projektplanung oder mangelhafter Bewässerungspraxis. Wenn sehr dichte Heckenlandschaften bewässert werden, ist es fast unumgänglich, dass auch die Gehölze zeitweise beregnet werden. Dies führt zur Minderung des Bruterfolgs.

 

Die Haltung der Vogelwarte

Die Vogelwarte hält Bewässerungsprojekte für fragwürdig. Zumindest die folgenden Bedingungen müssen aus unserer Sicht erfüllt sein:

  • Alternativen sind geprüft worden: Durch das in der Verordnung zum Schutze der Trockenwiesen und Weiden von nationaler Bedeutung vorgesehene Instrument des «Trockenwiesenvorranggebiets» wurden Möglichkeiten für die zusätzliche finanzielle Unterstützung der traditionellen Nutzung von Trockenwiesen seitens des Bundes geschaffen. Die steigende Nachfrage nach qualitativ und ökologisch hochwertigen Produkten beweist zudem, dass die Chancen für eine naturnah produzierende Landwirtschaft im Berggebiet auch in Zukunft intakt sind. Investitionen in eine verbesserte Infrastruktur (z.B. Bewässerungen) sind nicht der einzige Weg zur Zukunftssicherung. Alternativen wie die noch konsequentere Förderung der wildtierfreundlichen, extensiven Bewirtschaftungsweise unter Einbezug traditioneller, bewässerungsunabhängiger Betriebszweige (z.B. Gebirgsackerbau) durch Behörden und Tourismus wären vermutlich ebenso erfolgsversprechend und zusätzlich imagefördernd.
  • Falls die Alternativen verworfen werden und ein Bewässerungsprojekt geplant wird, ist auf die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu achten.
  • Bewässerungen dürfen vom Bund nur dann finanziell unterstützt werden, wenn sie der Ertragssicherung in Trockenjahren dienen, nicht aber wenn damit eine allgemeine Ertragssteigerung verbunden ist.
  • Im Natur- und Heimatschutzgesetz als schützenswert bezeichnete Flächen, insbesondere Trockenwiesen und Hecken, dürfen in keiner Weise beeinträchtigt werden. Insbesondere sind die trockenen Fettwiesen (Salbei-Glatthaferwiesen) wenn immer möglich vor Bewässerung zu bewahren.
  • Illegale, oft seit Jahren existierende Wasserentnahmen dürfen durch ein Bewässerungsprojekt nicht nachträglich legalisiert, sondern müssen im Gegenteil sanktioniert werden. Zudem muss gewährleistet sein, dass in den Fliessgewässern trotz Wasserentnahmen jederzeit genügend Restwasser verbleibt.
  • Die in der Region tätigen Organisationen und Vertreter des Natur- und Vogelschutzes müssen bereits während der Vorprojektierung einbezogen werden.
  • Die faunistischen und floristischen Grundlagen müssen sorgfältig erhoben sein und berücksichtigt werden. Beispielsweise ist eine Bestandsaufnahme der Kulturlandvögel, Tagfalter- und Heuschreckenfauna sowie der Vegetation unerlässlich.
  • Eine Kartierung, welche die Eignung oder Nicht-Eignung der Böden für Bewässerung dokumentiert, muss vorliegen. Bereits vernässte Böden oder solche mit zu geringem Speichervermögen sowie erosionsgefährdete Steillagen sollen nicht bewässert werden – nicht nur aus agronomischen und wirtschaftlichen Gründen, sondern, weil solche Böden meist auch eine schutzwürdige Vegetation tragen.
  • In Gebieten mit wichtigen Wiesenbrütervorkommen muss der Schnitttermin je nach Höhenlage auf frühestens den 5. Juli (montane Stufe) bzw. den 15. Juli (subalpine Stufe) festgelegt werden.
  • Bei der Festlegung der Bewässerungspraxis ist auf die Bedürfnisse gefährdeter Arten Rücksicht zu nehmen. Die Einhaltung der vorgeschriebenen Bewässerungspraxis muss kontrolliert werden. Durch Abschluss von Verträgen muss zudem gewährleistet werden, dass naturschützerisch wertvolle Grenzertragsflächen auch weiterhin bewirtschaftet werden.
  • Es ist darauf zu achten, dass in jeder Landschaftskammer ein Teil der Wiesen (mindestens 10 %, möglichst untereinander vernetzt) unbewässert bleibt.
  • In faunistisch-floristisch wertvollen Gebieten sind die Auswirkungen der Bewässerung auf Tier- und Pflanzenwelt im Rahmen eines Monitoringprojekts zu überprüfen, damit bei Fehlentwicklungen eingegriffen werden kann.