Wildtierfreundliche Landwirtschaft

Seit 1992 setzt die schweizerische Landwirtschaft vermehrt auf die Ökologie. Höhere Bodenfruchtbarkeit, sauberere Gewässer, tiergerechte Haltung von Nutztieren und eine wachsende Vielfalt von Kleinlebewesen sind nachweisbare Erfolge dieses Wandels. Für heimische Wildtiere ist eine Trendwende dennoch in weiter Ferne: Die Hälfte der Vogelarten des Kulturlandes ist weiterhin bedroht. Die ökologischen Ziele der Schweizer Landwirtschaft sind noch nicht erreicht.

Die Schweizerische Vogelwarte Sempach engagiert sich daher für eine wildtierfreundliche Landwirtschaft und orientiert sich an folgenden Zielen:
  • Die Bauernbetriebe nutzen das Kulturland in einer Art und Weise, die den typischen Wildtieren der Landwirtschaftsgebiete eine dauerhafte Existenz in lebensfähigen Beständen ermöglicht.
  • Ökologische Direktzahlungen und Labelbeiträge belohnen die gezielte Förderung der Artenvielfalt in der Kulturlandschaft und bilden einen namhaften Teil des bäuerlichen Einkommens.
  • Für die Bevölkerung entstehen eine belebtere und gesündere Umwelt mit erlebnisreichen Landschaften und mehr Lebensqualität.

Leitsätze zur wildtierfreundlichen Landwirtschaft

Die wildtierfreundliche Nutzung sichert typischen Tierarten im Kulturland ein langfristiges Überleben.
  1. Die wildtierfreundliche Landwirtschaft basiert auf drei Säulen:
    1.  Wildtiere brauchen eine gesunde Umwelt. Der Ökologische Leistungsnachweis ÖLN garantiert einen verantwortungsbewussten Umgang mit Hilfsstoffen wie Düngern und Pflanzenbehandlungsmitteln.
    2. Wildtiere brauchen Deckung, Nahrung und sichere Orte zur Fortpflanzung. Die Direktzahlungsverordnung DZV und die Öko-Qualitätsverordnung ÖQV geben Anreize zur Schaffung qualitativ hochstehender ökologischer Ausgleichsflächen.
    3. Viele Wildtiere brauchen auf den produktiven Anbauflächen Schonung. Wildtierfreundliche Anbau- und Erntemethoden sorgen dafür, dass die Wildtiere und ihr Nachwuchs nicht geschädigt werden.
  2. Die Förderung der Artenvielfalt entwickelt sich neben der Produktion von gesunden Lebensmitteln zu einem wichtigen Standbein der schweizerischen Landwirtschaft. Dies steigert die Wertschöpfung des einheimischen Agrarsektors.
  3. Das Prädikat "wildtierfreundlich" wird fester Bestandteil bestehender Produktelabels. Diese Label ergänzen das System von gesetzlichen Vorschriften des ÖLN und finanziellen Anreizen bei DZV und ÖQV.
  4. Die Konsumenten erhalten somit die Gewissheit, dass Lebensmittel in einer Weise produziert werden, die neben den Ansprüchen der Nutztiere auch jene der Wildtiere berücksichtigen. Attraktive Landschaften, die für Erholung und Tourismus wichtig sind, werden gesichert, aufgewertet oder neu geschaffen.
  5. Eine wildtierfreundliche Landwirtschaft kann verwirklicht und finanziert werden, indem die gesetzlichen und agrarpolitischen Möglichkeiten, u.a. die ÖQV, optimal ausgeschöpft werden. Die ökologischen Direktzahlungen honorieren gemeinwirtschaftliche Leistungen mit hoher Wirkung zu Gunsten der Biodiversität. Dadurch steigt die Effizienz der Bundesmittel für eine ökologische und nachhaltige Landwirtschaft.
  6. Vögel sind besonders geeignete Indikatoren für die Artenvielfalt und Lebensraumqualität. Sie haben vergleichsweise grosse Raumansprüche. Das Vorkommen typischer Kulturlandvögel zeigt im Sinne der Erfolgskontrolle, ob die Ziele einer wildtierfreundlichen Landwirtschaft erreicht werden. Die Bestände der Vögel können zuverlässig, recht einfach und grossflächig erhoben werden.

Die Vision ...

Mit einer Revitalisierung des Landwirtschaftsraums können die Schweizer Bauern bleibende Werte für Natur und Landschaft schaffen. Die Zukunft der Wildtiere im Kulturland ist gesichert, wenn auf mindestens 15 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche hochwertige ökologische Ausgleichsflächen entstehen und auf den Produktionsflächen schonende Formen der Bearbeitung und Ernte zum Einsatz kommen. Flankierend sollen die Fliessgewässer renaturiert und die Waldränder sachgerecht gepflegt werden. Das Agrarprodukt Biodiversität bringt der Landwirtschaft einen eigenständigen Einkommenszweig.

Der Weg ...

  • Der ökologische Ausgleich ist der Grundpfeiler der wildtierfreundlichen Landwirtschaft. Beispiel: In spät gemähten Blumenwiesen können am Boden brütende Vögel ihre Brut erfolgreich aufziehen.
  • Angepasste Nutzungsformen sichern den Vögeln auch auf den Produktionsflächen das Überleben. Beispiel: Die lückige Getreideansaat schafft u.a. Brutplätze für Feldlerchen.
  • Angepasste Nutzungsformen sichern den Vögeln auch auf den Produktionsflächen das Überleben. Beispiel: Die lückige Getreideansaat schafft u.a. Brutplätze für Feldlerchen.
  • Ein vielfältiges Angebot an ökologischen Ausgleichsflächen führt zur Vernetzung der Lebensräume, so dass die Wildtiere die ganze Kulturlandschaft nutzen können.
  • Label-Produkte mit hohen ökologischen Standards garantieren einwandfreie Lebensmittel aus wildtierfreundlichem Kulturland.

Die Schweizerische Vogelwarte Sempach ...

  • anerkennt und schätzt die von den Landwirten erbrachten ökologischen Mehrleistungen,
  • berät die Landwirtschaft bei der Umsetzung von ökologischen Ausgleichsmassnahmen im Rahmen der DZV und ÖQV,
  • hilft beim Entwickeln und Testen von praxistauglichen, wildtierfreundlichen Nutzungsformen in der Landwirtschaft,
  • wirkt mit bei der Entwicklung und Ausgestaltung wildtierfreundlicher Kriterien für Produktelabels,
  • bietet mit der Überwachung der Vogelwelt im Kulturland ein Instrument an, mit dem sich die Wirkung von wildtierfreundlichen Massnahmen effizient messen lässt.

Die Landwirtschaft ...

  • setzt auf die in der Bundesverfassung verankerte Multifunktionalität und produziert sowohl Lebensmittel als auch Biodiversität,
  • fördert die Vielfalt an typischen Wildtieren und Wildpflanzen des Kulturlandes mit qualitativ hochwertigen ökologischen Ausgleichsflächen und mit angepassten Anbaumethoden,
  • verstärkt die landwirtschaftliche Ausbildung in ökologischer Richtung und vermittelt wildtierfreundliche Verfahren.

Die Politik ...

  • sorgt für eine schrittweise Verlagerung von den allgemeinen hin zu den ökologischen Direktzahlungen,
  • verbindet die ökologischen Direktzahlungen stärker mit den Lebensraumansprüchen typischer und bedrohter Wildtiere des Kulturlandes und sorgt dadurch für eine höhere Effizienz der eingesetzten Bundesmittel,
  • harmonisiert die gesetzlichen Rahmenbedingungen (Landwirtschaft, Naturschutz, Wald, Gewässerschutz) und schafft regionalen Gestaltungsspielraum,
  • unterstützt Modelle und Projekte zur Förderung und Vermarktung von regionaltypischen und ökologisch hergestellten Produkte.