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    Südliche Arten breiten sich Richtung Norden aus

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    Der Orpheusspötter ist im westlichen Mittelmeerraum weit verbreitet. In der Schweiz hat er seinen Verbreitungsschwerpunkt innerhalb von 20 Jahren um gut 30 km nach Norden verschoben. © Beat Rüegger

    Arten, die eine mediterrane Verbreitung haben und in der Schweiz an ihre nördliche Verbreitungsgrenze stossen, haben ihre Areale seit 1993–1996 nach Norden ausgedehnt. Dagegen sind mittel- und nordeuropäische Arten, die in der Schweiz ihre südliche Arealgrenze haben, eher rückläufig. Die Klimaerwärmung ist wohl ein wichtiger Treiber dieser Trends.

    Die grossräumige Verbreitung einer Art wird oft durch das Klima und damit durch grossräumige Vegetationstypen (z.B. Laubwald, Gebirge) bestimmt. Mit der Klimaerwärmung sind Arealverschiebungen von Pflanzen und Tieren in den Fokus der Wissenschaft gerückt. Modelle, welche die Klimaerwärmung berücksichtigen, sagen für viele Vogelarten Europas eine meist nach Norden oder Nordosten gerichtete Verschiebung des aktuellen Areals voraus.

    Südliche Arten erobern die Schweiz

    Um anhand der Atlasdaten zu überprüfen, ob es in der Schweiz zu Arealveränderungen gekommen ist, wählten wir 17 Arten aus, deren gesamteuropäische Arealgrenze durch die Schweiz führt. Es wurden nur Arten berücksichtigt, die ihren Verbreitungsschwerpunkt in der Schweiz unterhalb von 900 m haben. Neun «nördliche» Arten haben ihren gesamteuropäischen Schwerpunkt in Mittel- und Nordeuropa, acht «südliche» Arten in Südeuropa. Für alle Arten wurde der Verbreitungsschwerpunkt innerhalb der Schweiz für 2013–2016 berechnet, d.h. die mittlere Lage der besiedelten Atlasquadrate (10 × 10 km). Diesen verglichen wir mit dem Schwerpunkt von 1993–1996.

    Demnach dehnten alle acht «südlichen» Arten zwischen 1993–1996 und 2013–2016 ihre Verbreitung in der Schweiz aus, wurden also in mehr Atlasquadraten nachgewiesen als noch vor 20 Jahren. Bei sechs Arten verschob sich der Schwerpunkt ihrer Verbreitung nach Norden oder Nordosten. Die Verschiebung in nördlicher Richtung betrug bei diesen acht «südlichen» Arten im Durchschnitt 9,4 km. Bei vier der neun «nördlichen» Arten kam es zu einer Ausdehnung, bei fünf Arten zu einer Verkleinerung des Brutgebiets in der Schweiz. Auch die Verschiebung der Arealschwerpunkte der «nördlichen» Arten folgte keinem klaren Muster. Während sie sich von Grauspecht und Gelbspötter stark nach Nordosten und somit den Voraussagen entsprechend verschoben, haben sich die Schwerpunkte der im Bestand zunehmenden Saatkrähe nach Südosten und des Weissrückenspechts nach Südwesten verlagert.

     

    Veränderung der Anzahl Atlasquadrate der 8 «südlichen» Arten und 9 «nördlichen» Arten zwischen 1993–1996 und 2013–2016 sowie Umfang der Verschiebung des Verbreitungsschwerpunkts in nördliche Richtung. Bei den Bestandstrends wird ein positiver (+), negativer (–) oder kein Trend (=) angegeben, wobei kein Trend bedeutet, dass keine statistisch signifikante Veränderung festgestellt wurde. Für Weissrückenspecht und Italiensperling kann wegen zu geringer Stichprobe keine Einschätzung vorgenommen werden.

    Nur bei wenigen «nördlichen» Arten war demnach ein substanzieller Arealrückgang feststellbar. Das hängt auch damit zusammen, dass das Aussterben von Arten ein langwieriger Prozess ist, während es für Neubesiedlungen nur einzelne Individuen braucht.

    Verschiebung des Verbreitungsschwerpunkts der 8 «südlichen» (links) und der 9 «nördlichen» Arten (rechts) zwischen 1993–1996 und 2013–2016. Die Areale der meisten «südlichen» Arten haben sich erwartungsgemäss Richtung Norden und Nordosten verschoben, wohingegen sich bei den Arealverschiebungen der «nördlichen» Arten kein klares Muster zeigt.

    Ähnliche Trends auch anderswo

    Durch ihre geringe Grösse ist die Schweiz kein ideales Land, um grossräumig ablaufende Arealveränderungen zu untersuchen. Erschwerend kommt hinzu, dass in den Alpen ein ausgeprägter Klimagradient existiert, der von der reinen geografischen Nord-Süd-Lage unabhängig ist und allfällige grossräumige Arealverschiebungen maskieren kann.

    Eine deutliche Verschiebung von südlichen Vogelarten in Richtung Norden, aber keine oder nur eine geringfügige Verschiebung von nördlichen Arten nach Norden wurde auch andernorts festgestellt. In Finnland breiten sich südliche Arten um etwa 1,2 km pro Jahr nach Norden aus, wohingegen sich die Verbreitung der nördlichen Arten nur halb so schnell verschiebt. In Grossbritannien haben sich die Arealgrenzen von südlichen Arten innerhalb von 20 Jahren um 18,9 km nach Norden verschoben; dagegen kam es bei nördlichen Arten zu keiner Verschiebung.

    Die Klimaerwärmung als Ursache?

    Dass in vielen Untersuchungen Arealverschiebungen und Veränderungen des Klimas parallel ablaufen, legt nahe, dass die Klimaerwärmung einen substanziellen Beitrag zu Arealverschiebungen leistet. Modellierungen basierend auf Klimafaktoren sagen entsprechend auch für mehrere Arten deutliche Rückgänge ihres Areals in unserem Land voraus. Auch für die Schweiz konnte gezeigt werden, dass sich Vogelbestände gemäss den klimabezogenen Voraussagen entwickeln. Der Swiss Bird Index SBI® «Climate Change» beispielsweise fasst die Bestandsentwicklung für jeweils 20 Arten zusammen, die gemäss Voraussagen von der Klimaerwärmung am stärksten beeinflusst werden sollten. Der Klimaindex zeigt ein ähnliches Bild wie die Veränderungen der Arealgrenzen: Prognostizierte Profiteure der Klimaerwärmung legten tatsächlich zu, wohingegen die vermutlichen Verlierer (noch) nicht mit Bestandsabnahmen reagierten. Es zeigt sich aber auch, dass Arealveränderungen selten ausschliesslich durch die Klimaerwärmung erklärt werden können. Weitere Einflussfaktoren wie Lebensraumveränderungen oder auch Schutzbemühungen können ebenfalls einen Einfluss haben.

    Langfristige Aussichten wenig rosig

    Zukünftig dürften sich Arealveränderungen verstärken. Aber diese sind nicht einfach vorherzusagen, da neben des Temperaturanstiegs viele Faktoren eine Rolle spielen, so etwa Regenfälle zur Brutzeit, Extremereignisse, zunehmende Trockenheit, verzögerte Wirkung über Vegetationsveränderungen (z.B. Wald) und Lebensraumveränderungen durch den Menschen, die auch mit dem Klima zusammenhängen können.

    Auf längere Zeit gesehen sind in der Schweiz die «nördlichen» und kälteliebenden Arten sowie die Feuchtgebietsarten am meisten bedroht. Auf europäischer Ebene wird vorausgesagt, dass sich das Areal von 409 Arten bis 2050 wegen der Klimaerwärmung und veränderter Landnutzung im Mittel um 335 km verschieben wird. Es wird erwartet, dass sich das Areal von 71 % der 409 untersuchten Arten verkleinert.

    Entwicklung der Teilindizes des Swiss Bird Index SBI® «Climate Change». Während für die Gruppe der Arten mit vorausgesagter starker Schrumpfung des Verbreitungsgebiets kein eindeutiger Trend zu erkennen ist (grün), nimmt der Index der Artengruppe mit vorausgesagter starker Ausdehnung des Verbreitungsgebiets stark zu (blau).

    Text: Thomas Sattler


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