Populationsdynamik des Schneesperlings: ein Kältespezialist in einer wärmer werdenden Welt

    Der Lebensraum des hochspezialisierten Schneesperlings verändert sich derzeit dramatisch. Wir untersuchen, wie sich solche Veränderungen auf die Brutbiologie und Populationsdynamik auswirken und suchen nach möglichen Massnahmen, um die abnehmende Population zu stützen.

    Ziele

    Der Schneesperling ist ökologisch und physiologisch an die rauen klimatischen Bedingungen des Hochgebirges angepasst. Er übernachtet in tiefen, windgeschützten Felsspalten und ernährt sich von fettreichen Pflanzensamen. Sein Nest enthält eine dicke Isolationsschicht aus trockenen Gräsern, die er mit Schneehuhnfedern oder Wolle auskleidet. Er legt seine Brut zeitlich so, dass die Jungenaufzucht mit der Schneeschmelze zusammenfällt. Dies ermöglicht es ihm, entlang von Schneefeldrändern energiereiche Schnakenlarven als Nahrung für seine Jungen zu finden. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass sich die veränderten klimatischen Bedingungen auch auf die Schneesituation auswirken, was wiederum das Nahrungsangebot des Schneesperlings beeinflusst. Zusätzlich zu den veränderten Bedingungen des Habitats haben wir kürzlich lokale Ausbrüche von Krankheiten beim Schneesperling beobachtet. Die dafür verantwortlichen Krankheitserreger, Salmonellen und Trichomonaden, wurden zum ersten Mal bei dieser Vogelart beobachtet.

    Mit unserem Schneesperlingsprojekt möchten wir nun untersuchen, ob und wie sich solche Veränderungen auf die Populationsdynamik dieses Gebirgsspezialisten auswirken. Dabei sollen die drei wichtigsten Elemente der Populationsdynamik einbezogen werden: Reproduktion, Überleben und Wanderungen. Insbesondere interessiert uns, wie die Faktoren Schneesituation, Wetter, Krankheiten und Habitat die Gelegegrösse, die Schlüpfrate, sowie das Wachstum und das Überleben des Schneesperlings beeinflussen.

    Vorgehen

    Die Untersuchung von saisonalen Unterschieden in der Überlebensrate und deren Zusammenhänge mit Umweltfaktoren erfordern es, markierte Individuen im Jahresverlauf zu verfolgen. Daher haben wir 2015 begonnen, an verschiedenen Standorten Vögel zu beringen. Für die Messung der Überlebensraten sowie die räumlichen Aktivität dieser nicht einfach zu untersuchenden Art, konnten wir so eine geeignete  Untersuchungspopulation aufbauen. Nistkästen erlauben es uns, das Wachstum und das Überleben von Nestlingen zu untersuchen.  Ausserdem können wir auf langjährige Datensätze von unseren freiwilligen MitarbeiterInnen zurückgreifen. Analysen dieser Datenreihen zeigen, wie die Schneebedeckung und das Wetter mit dem Zeitpunkt der Brut zusammenhängen. Dabei interessiert uns auch, wie der Schneesperling sein Brutgeschehen zeitlich an die Umweltbedingungen anpasst. Daraus kann abgeschätzt werden, wie gut der Schneesperling auf Veränderungen im zeitlichen Auftreten der Nestlingsnahrung reagieren kann. Zudem werden wir Populationsveränderungen des Schneesperlings mit  Veränderungen der Vegetation, dem Klima und der Landnutzung korrelieren, um relevante Faktoren  für die Bestandentwicklung zu identifizieren. Mit Hilfe von mikrobiologischen und molekularen Methoden untersuchen wir Kot- und Speichelproben auf Krankheitserreger, um damit kranke Individuen und Kontaminationen an Futterstellen nachzuweisen. Dies erlaubt es uns, die Verbreitung und das Ausmass der neu beobachteten Krankheiten abzuschätzen und deren Einfluss auf die Population zu untersuchen.

    Bedeutung

    Mit dem Schneesperlingsprojekt möchten wir verstehen, wie ein Gebirgsspezialist auf sich verändernde Umweltbedingungen reagiert. 

    Verschiedene Monitoringprojekte haben über die letzten Jahrzehnte eine Abnahme des Schneesperlingsbestandes in den Alpen beobachtet. Von der europäischen Unterart des Schneesperlings brüten ca. 15 % in der Schweiz, womit der Schweiz eine grosse Verantwortung für diese Charakterart des Hochgebirges zukommt. Mit dem Schneesperlingsprojekt wollen wir unserer Verantwortung gerecht werden und aufzeigen, weshalb Bestände abnehmen, wie es um die  Zukunft des Schneesperlings bestimmt ist, und mit welchen Massnahmen man einen positiven Einfluss auf die Bestandesentwicklung nehmen kann.

    Ergebnisse

    Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass während der Schneeschmelze grosse Ladungen von Schnakenlarven als Hauptnahrung für die Nestlinge ins Nest gebracht werden. Nach der Schneeschmelze hingegen, dienen kleinere Ladungen von einer Vielzahl von Insekten und deren Larven als Nestlingsnahrung (Poster zum Herunterladen). Weiter wurde aus den langjährigen Beobachtungen von freiwilligen MitarbeiterInnen (ornitho.ch) ersichtlich, dass über 2300m ü. M. die meisten Bruten während der Schneeschmelze schlüpfen. Im Gegensatz dazu scheinen  Schneesperlinge in tieferen Lagen Mühe zu haben, den Schlüpfzeitpunkt auf die Schneeschmelze zu legen. Es ist wahrscheinlich, dass Bruten, die nach der Schneeschmelze stattfinden, kein optimales Nahrungsangebot zur Verfügung haben.

    Die Auswertungen von Ringablesungen beim Schneesperling ergaben, das Weibchen in Jahren mit trockenen und heissen Sommern entweder sterben oder aus dem Studiengebiet verschwinden. Im Gegensatz dazu war die Rückkehrrate der Männchen unabhängig vom Wetter (Temperatur und Niederschlag). Damit gehören unsere Resultate zu den ersten konkreten Hinweisen, die die Auswirkungen von klimatischen Veränderungen in direkten Zusammenhang mit Bestandsrückgängen von Schneesperlingen setzen. Es scheint auch für den Schneesperling von grosser Bedeutung zu sein, inwiefern wir die gegenwärtige Klimaerwärmung zu bremsen vermögen und welche zusätzliche Massnahmen wir zur Stützung der Population ergreifen können.

    Projektleitung

    Fränzi Korner-Nievergelt (senior scientist)

    Projektteam

    Sebastian Dirren (research scientist), Anne-Cathérine Gutzwiller (Master student), Carole Niffenegger (Master student), Elisenda Peris Morente (field assistant), Christian Schano (PhD student), Irmgard Zwahlen (scientific collaborator)

    Partner

    snowfinch.eu
    PD Dr. Sabine Hille, Universität für Bodenkultur Wien, Österreich
    Maria del mar Delgado, Universität de Oviedo, Mieres, Spanien
    Alpfor
    Naturmuseum Chur
    Schatzinsel Alp Flix 
    SLF

    Donatoren

    Stiftung Yvonne Jacob
    Swarovski Optik Schweiz
    Eine anonyme Stiftung

    Publikationen

    Brambilla, M., J. Resano-Mayor, R. Arlettaz, C. Bettega, A. Binggeli, G. Bogliani, V. Braunisch, C. Celada, D. Chamberlain, J. C. Carricaburu, M. del Mar Delgado, P. Fontanilles, P. Kmecl, F. Korner, R. Lindner, P. Pedrini, J. Pöhacker, B. Rubinic, C. Schano, D. Scridel, E. Strinella, N. Teufelbauer & M de Gabriel Hernando (2020):
    Potential distribution of a climate sensitive species, the White-winged Snowfinch Montifringilla nivalis in Europe.
    Strinella, E., D. Scridel, M. Brambilla, C. Schano & F. Korner-Nievergelt (2020):
    Potential sex-dependent effects of weather on apparent survival of a high-elevation specialist.
    Resano-Mayor, J. F. Korner-Nievergelt, S. Vignali, N. Horrenberger, A. G. Barras, V. Braunisch, C. A. Pernollet & R. Arlettaz (2019):
    Joint species distribution models with species correlations and imperfect detection.
    Korner-Nievergelt, F., C. Pernollet, A. Schneider, H. Bachmann & L. Jenni (2016):
    Bericht über die erste Feldsaison (2016) des Schneesperlingsprojekts.