© Marcel Burkhardt
Wie retten wir den Kiebitz?
Fast wäre der Kiebitz in der Schweiz ausgestorben. Doch jetzt zeigt ein Förderprojekt in der Wauwiler Ebene LU Wirkung und strahlt auf weitere Standorte aus. Was braucht es, um die Zukunft des eleganten Watvogels zu sichern?
Im Jahr 2004 war der Bestand des Kiebitzes schweizweit auf knapp hundert Brutpaare gesunken. Der einst in den Feuchtgebieten des Mittellandes verbreitete Watvogel drohte als Brutvogel aus unserem Land zu verschwinden. Doch der Kiebitz hatte Glück im Unglück: Seit 2003 gilt er als sogenannte «Prioritätsart für die Artenförderung ». Wissenschaftler und Vogelschützer kümmern sich daher intensiv um die letzten Brutpaare.
Pionierphase in der Wauwiler Ebene
In der Wauwiler Ebene im luzernischen Mittelland lancierte die Vogelwarte 2005 ein Förderprojekt für den Kiebitz. Auch hier war die Situation desolat: Nur noch 17 Paare zählten die Ornithologen damals, noch in den 1980er-Jahren lebten hier rund 60 Paare. Gemäss etabliertem Muster klärte die Vogelwarte zuerst die Gefährdungsursachen ab und entwickelte daraus Schutzmassnahmen. Die Untersuchungen brachten an den Tag, dass eine Kombination von drei Faktoren, nämlich die Bewirtschaftung der Felder zur Brutzeit, Nahrungsmangel und Prädation für den schlechten Bruterfolg des am Boden brütenden Kiebitz verantwortlich ist. Letztere konnte mit Hilfe von Elektrozäunen vermindert werden. Diese schützen Felder mit Kiebitzbruten und Kiebitzfamilien vor Füchsen, Katzen und weiteren Räubern. Dem Nahrungsmangel begegnete die Vogelwarte mit neu geschaffenen Flachteichen oder Tümpeln, an denen die jungen Kiebitze auch bei trockener Witterung bodennah noch Kleingetier finden. Leider konnten erst einzelne temporäre Flachgewässer geschaffen werden. Ein verstärktes Engagement weiterer Landbesitzer wäre vonnöten. Ein Durchbruch wurde erreicht, als sich Bauern ab 2009 bereit erklärten, brach liegende Maisäcker vom Vorjahr erst nach dem Schlüpfen der Kiebitze neu zu bestellen. Dadurch waren die Kiebitznester und deren Umgebung besser geschützt. Für diese Massnahme erhielten die Landwirte vom Kanton Luzern im Rahmen des Vernetzungsprojekts Wauwiler Ebene einen finanziellen Beitrag. Als noch wirksamer erwies sich die Anlage von Rotationsbrachen, was ab 2011 praktiziert wurde. Denn diese Flächen werden bis in den August nicht bewirtschaftet. Auch diese Massnahme wird im Rahmen des Vernetzungsprojekts entschädigt. Dank den kombinierten Massnahmen wuchs der lokale Kiebitzbestand bis 2014 auf 56 Paare. Dieser Aufschwung ist kein Zufall, sondern beruht auf einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit der Vogelwarte mit lokalen Bauern, Landwirtschaftsberatern und den kantonalen Behörden sowie dem Bund.
Seit 2008 besteht im Zentrum der Wauwiler Ebene ein Wasserund Zugvogelreservat von nationaler Bedeutung, das auch dem Schutz des Kiebitzes dienen soll. Die Jagd wurde eingeschränkt und Spaziergänger haben sich an ein Wegegebot zu halten. Zudem gilt ein Leinengebot für Hunde, und auf vielen Strassen wurde ein Fahrverbot eingerichtet. Wichtig wäre es nun, dass sich die intensive landwirtschaftliche Nutzung mit Tierhaltung (v.a. Schweinemast), Milchwirtschaft und Ackerbau diesem Schutzstatus ebenfalls anpasst. Denn insbesondere eine Bodenbearbeitung zur Brutzeit verträgt sich nicht mit der Förderung des Kiebitzes.
Vernetzung unter den Kiebitz-Förderern
2012 wurde von der Vogelwarte und dem Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz die Arbeitsgruppe Kiebitz ins Leben gerufen. Sie dient als Drehscheibe für alle aktiven Kiebitz-Förderer. Alle zwei Jahre wird ein Treffen in einer Kiebitzregion organisiert, damit Erkenntnisse und praktische Erfahrungen unter einander ausgetauscht und fachliche Lücken festgestellt und im Folgenden untersucht werden können.
Taugliche Fördermassnahmen landesweit
Das Pionierprojekt in der Wauwiler Ebene zeigt exemplarisch, was es braucht, um einer hochgradig gefährdeten Tierart im intensiv bewirtschafteten Kulturland eine Chance zu geben. Dank der Arbeitsgruppe Kiebitz werden die Erfahrungen jetzt auch in anderen Regionen der Schweiz, in denen der Kiebitz noch vorkommt, eingebracht.
Zum Beispiel in Gossau ZH, wo vom ZVS/BirdLife Zürich die Bruten auf fünf Hektaren eingezäunt werden. Zudem passt der Landwirt die Bewirtschaftung auf die Bedürfnisse der Kiebitze an. 2014 konnten so 8 Paare brüten. Auch in Vouvry VS nahe der Rhonemündung in den Genfersee können die 2 Paare auf einer eingezäunten Fläche im Kulturland nisten. Wenige Kiebitze brüten noch in ihrem angestammten Lebensraum, den Feuchtgebieten, etwa im Frauenwinkel SZ und im Nuoler Ried SZ. In beiden Gebieten werden sowohl im Schutzgebiet wie auch auf benachbarten Äckern, auf denen die Kiebitzfamilien Nahrung suchen, Elektrozäune aufgestellt. So konnten 2014 im Frauenwinkel 5 und im Nuoler Ried 11 Paare brüten. Die Betreuung vor Ort wird von der Stiftung Frauenwinkel und dem kantonalen Amt für Natur, Jagd und Fischerei sichergestellt und geht auf eine intensive Vorarbeit durch einen interessierten Ornithologen zurück. Im Neeracherried ZH, wo letztes Jahr 7 Paare brüteten, und im Gebiet Flachsee/Stille Reuss AG, wo es letztes Jahr zu 8 Bruten kam, werden wegen anderer Bewohner der Schutzgebiete keine Zäune aufgestellt. In diesen beiden Gebieten ist der Bruterfolg dementsprechend sehr tief.
Eine etwas andere Herangehensweise wurde im Fraubrunnenmoos BE gewählt. Hier schloss das Naturschutzinspektorat des Kantons Bern (heute Abteilung Naturförderung ANF) 1997 mit einem der wichtigsten Bewirtschafter und Landeigentümer einen Artenschutzvertrag zur Erhaltung der hier brütenden Kiebitzkolonie ab. In diesem verpflichtete sich der Landwirt, seine landwirtschaftliche Nutzung den Bedürfnissen des Kiebitzes anzupassen. Als Gegenleistung entschädigte der Kanton Bern ihn für den Ertragsausfall und den Pflegeaufwand für die Erhaltung einer offenen Brachfläche. Im Jahr 2007 werteten die beiden Partner in einem gemeinsamen Projekt mit der Stiftung Bubo und der Gemeinde Fraubrunnen das Gebiet auf. Finanzielle Unterstützung erhielten sie von der Berner Ala (Bernische Gesellschaft für Vogelkunde und Vogelschutz), einer privaten Stiftung und der Ala Schweiz. Auf einer Teilfläche von 140 Aren wurden der Oberboden abgetragen und Flachtümpel angelegt. Während der Brutzeit wird das Gebiet seither durch einen Elektrozaun gesichert. Die Kiebitze nutzten das neue Lebensraumangebot sofort, und der Bestand wuchs bis 2014 auf 21 Paare, was ihn zur zweitgrössten Kolonie in unserem Land macht. Im Jahr 2014 konnte die Berner Ala mit grosszügiger finanzieller Unterstützung verschiedener Geldgeber die aufgewertete Fläche und die Nachbarflächen (total 480 ha) erwerben. Nun soll die gesamte Fläche zu Gunsten des Kiebitzes aufgewertet werden.