© Marcel Burkhardt
Vögel zählen rund ums Jahr
Eine Kernaufgabe der Schweizerischen Vogelwarte ist es, einen Überblick über Auftreten und Bestandsentwicklung der in der Schweiz auftretenden Brut- und Gastvögel zu haben. Dazu setzt sie verschiedene Instrumente ein, insbesondere verschiedene Monitorings.
Vögel sind dank ihrer Flugfähigkeit deutlich mobiler als andere Tiergruppen. Dieses Kommen und Gehen zu überblicken, verlangt dem Koordinationsteam in Sempach rund ums Jahr einiges ab. Dank rund 5000 aktiven Personen auf ornitho.ch, standardisierten Wasservogelzählungen auf über 300 Gewässerabschnitten und Beringungsstationen in Feuchtgebieten und auf Bergpässen ist das Auftreten der überwinternden und durchziehenden Vögel heute sehr gut dokumentiert. Aufwändiger ist dagegen das Monitoring der rund 180 regelmässigen Brutvogelarten. Zahlen sind aktuell für 176 Arten verfügbar, meist ab 1990. Herzstück dieser Überwachung ist das Monitoring Häufige Brutvögel (MHB), welches die Bestände der häufigeren und verbreiteteren Brutvogelarten, darunter viele Singvögel, seit 1999 in 267 Kilometerquadraten in der ganzen Schweiz erhebt. Dieses wird ergänzt durch Erhebungen für das nationale Biodiversitätsmonitoring (BDM), bei dem alle 5 Jahre Aufnahmen in rund 500 Kilometerquadraten stattfinden. Die Vogelwarte führt ferner zusammen mit lokalen Partnern, Arbeitsgruppen und Artspezialistinnen und -spezialisten Erhebungen in rund 100 Feuchtgebieten (MF), in Spezialhabitaten, auf Waffenplätzen und in Pärken durch. Ausserdem organisiert sie Zählungen von Koloniebrütern und Spezialerhebungen, z. B. von nachtaktiven Arten oder von Felsbrütern (Monitoring Ausgewählte Arten).
Bewährte Revierkartierungsmethode
Bei vielen Erhebungen wird eine vereinfachte Form der Revierkartierungsmethode eingesetzt. Bei einer solchen Kartierung wird ein Gebiet auf einer vorgegebenen Route begangen und alle innerhalb eines Kilometerquadrats festgestellten Vögel werden punktgenau notiert . Die Verwendung dieser Methode hat in der Schweiz eine lange Tradition, sie ist für die oftmals nur kleinflächigen und überschaubaren Habitate gut geeignet, und die so gewonnenen Ergebnisse lassen sich gut kommunizieren. Auch die quantitativen Erhebungen für die Brutvogelatlanten 1993–1996 und 2013–2016 wurden mit dieser Methode durchgeführt. Standard ist die dreimalige Begehung eines Gebiets, doch werden alpine Flächen in der Regel nur zweimal, Feuchtgebiete und Spezialhabitate dagegen fünf bis sechsmal begangen.
Um die Revierkartierungsmethode möglichst einfach und standardisiert zu handhaben, kommen verschiedene Hilfsmittel zum Einsatz: Die Mitarbeitenden erhalten präzise Karten, auf denen die Routen und die Aufenthaltsdauer im Quadrat vorgegeben sind, und spät eintreffende Zugvögel dürfen erst ab einem bestimmten Datum gezählt werden. Eine vom Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) entwickelte Kartierapp, ein Digitalisierungstool (Terrimap online) und eine Software für die automatisierte Revierausscheidung (Autoterri) helfen heute bei der effizienten Datenerhebung und -analyse. Die Devise lautet, den Kartierenden die Arbeit am Schreibtisch so leicht wie möglich zu machen.
Bergvögel als besondere Herausforderung
Die Alpen machen in der Schweiz 58 % des Flächenanteils aus, der Jura 11 %. Da unser Land eine besondere Verantwortung für den Erhalt von Vogelarten der alpinen und subalpinen Habitate hat, ist es wichtig, dass auch diese Flächen repräsentativ vertreten sind. Entsprechend werden auch Areale bis in Höhen über 2500 m ü. M bearbeitet. Die Kartierungen in diesen Lagen sind besonders anspruchsvoll: Wetterumschwünge, späte Ausaperung, Steinschlag und durch Lawinen oder Hochwasser weggespülte Brücken oder Wege können Probleme bereiten. Im Alpenraum kommen zudem viele Vogelarten vor, deren Erfassung eine echte Herausforderung darstellt. Arten wie Alpenschneehuhn, Steinhuhn, Steinrötel und Mauerläufer nutzen weite Gebiete und oft schlecht überblickbares Gelände oder sie sind gut getarnt. Die Alpenbraunelle wiederum lebt in Familienverbänden, die Alpendohle geht in Scharen auf Nahrungssuche und streift dabei weit umher, ebenso wie Schneesperling, Alpenbirkenzeisig und Bluthänfling. Glücklicherweise gibt es auch territoriale Arten wie Bergpieper und Steinschmätzer, die sich recht gut erfassen lassen.
Kombination verschiedener Datenquellen liefert präzisere Trends
Für halbseltene, schwer zu entdeckende Arten ist es in einem kleinen Land besonders schwierig, eine ausreichend grosse Datenmenge für aussagekräftige Trendberechnungen zu erheben. Neben den erwähnten Bergvögeln gehören beispielsweise Hühner- und Greifvögel, Spechte und einige seltene Singvogelarten in diese Kategorie. In den herkömmlichen Überwachungsprojekten treten sie zu selten auf, um allein darauf basierend Trends berechnen zu können. An der Vogelwarte entwickelte statistische Methoden erlauben es nun, Daten aus unterschiedlichen Quellen für die Trendberechnung zu kombinieren. Hierfür werden die Einzelbeobachtungen aus ornitho.ch mit den quantitativen Daten aus MHB, BDM, MF und den Brutvogelatlanten zusammengelegt. Diese Anreicherung der Gelegenheitsbeobachtungen mit den besser standardisierten Daten ist aus zwei Gründen wertvoll: Erstens werden in den Monitoringprojekten die Probeflächen regelmässig und mit gleichbleibendem Aufwand bearbeitet, was für eine Beurteilung der langfristigen Entwicklung entscheidend ist. Und zweitens können so auch Veränderungen in der Bestandsdichte pro Kilometerquadrat berücksichtigt werden – eine Information, die in den Einzelnachweisen nicht vorhanden ist. Die so ermittelten Trends unterscheiden sich besonders für die 1990er-Jahre teilweise recht deutlich von den Entwicklungen, die zuvor nur basierend auf den Einzelnachweisen berechnet wurden. Eine vertiefte Analyse bestätigte, dass die neue Methode in vielen Fällen verlässlichere Trends liefert.
Fundgrube für die methodische Forschung
Die standardisierten Erhebungen im MHB haben sich über die Jahre immer wieder als hervorragende Quelle und ausgezeichnetes Rohmaterial für neuartige statistische Analysen erwiesen. Vor allem aus der Zusammenarbeit der Vogelwarte mit Andy Royle vom Patuxent Wildlife Research Center (USA) sind über die Jahre neue analytische Methoden entwickelt worden, die die Entdeckungswahrscheinlichkeit einer Art berücksichtigen. Diese neuen Methoden geben Aufschluss über Vorkommen und Bestand, deren Veränderung und die Umweltfaktoren, welche diese Grössen beeinflussen. Das MHB ist dadurch mittlerweile in der methodischen Forschung weltweit ein Begriff geworden und figuriert prominent in zahlreichen Forschungsartikeln und sogar in mehreren Lehrbüchern. Der Wert des MHB geht somit weit über die Messung des Pulses der natürlichen Vielfalt der Vögel in der Schweiz hinaus. Die MHBDaten stellen eine wahre Fundgrube für die Entwicklung neuer Methoden und für die Überprüfung ganz grundsätzlicher biologischer Hypothesen dar.
Immer breitere Verwendung
Wenn wir auf die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten zurückblicken, dann dürfen wir feststellen, dass die von den Überwachungsprojekten der Vogelwarte generierten Daten immer begehrter sind. Das beginnt bei simplen Datenbankauszügen für die Beurteilung von Infrastrukturoder Revitalisierungsprojekten, umfasst viele wissenschaftliche Analysen und Modellierungen und geht bis zur Bereitstellung von grösseren Datenpaketen, etwa für das EuroBirdPortal oder andere internationale Projekte. Zudem sind auch unsere methodischen Entwicklungen und die Früchte unserer Grundlagenforschung heute mehr denn je gefragt. All dies wäre aber nicht möglich, wenn nicht am Anfang eines jeden Projektes viele hochmotivierte Freiwillige stünden, die sich dafür engagieren, auch in sehr anspruchsvollem Gelände bestmögliche Daten zu erheben. Ihnen gebührt unser grösster Dank!