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Ergebnisse im Überblick

Veränderung der Präsenz von sechs Wiesenbrütern (Wachtel, Wachtelkönig, Feldlerche, Baum- und Wiesenpieper sowie Braunkehlchen) pro Atlasquadrat zwischen 1950–1959 und 2013–2016. Das Verschwinden dieser Arten in den Niederungen ist ein einschneidender Verlust. Die scheinbare Zunahme in einzelnen Regionen im Jura und vor allem in den Alpen ist auf eine lückenhafte Erfassung im Zeitraum 1950–1959 zurückzuführen.

Der Zustand der Vogelwelt widerspiegelt unseren Umgang mit Natur und Umwelt. Dass 39 % der Brutvögel der Schweiz auf der Roten Liste 2010 stehen und weitere 16 % potenziell gefährdet sind, ist ein klares Warnsignal und ein Hinweis auf den schlechten allgemeinen Zustand der Lebensräume.

Mit dem Brutvogelatlas 2013–2016 wurden dank der Mitarbeit unzähliger Freiwilliger die aktuellen Vorkommen, die Häufigkeit und die Höhenverbreitung aller Brutvögel der Schweiz und des Fürstentums Liechtenstein dokumentiert. Zusammen mit den drei früheren Atlanten lassen sich damit die markanten Veränderungen in der Schweizer Vogelwelt in den letzten 20 bis 60 Jahren aufzeigen.

Entwicklung über 60 Jahre

Die grössten Veränderungen in der Vogelwelt seit den Fünfzigerjahren haben im Flachland stattgefunden. Die landwirtschaftliche Intensivierung trug massgeblich dazu bei, dass Arten wie Rebhuhn, Steinkauz, Wiedehopf, Baumpieper und Braunkehlchen fast ganz aus den tieferen Lagen verschwunden sind. Dieser Trend hat sich in den letzten 20 Jahren fortgesetzt und mittlerweile insbesondere auch die mittleren und höheren Lagen erfasst. Besonders betroffen sind Vogelarten, die in Wiesen und Kulturen brüten.

Seit den Fünfzigerjahren gibt es aber auch positive Veränderungen: Die Wasserqualität der damals verschmutzten Gewässer hat sich massiv verbessert. Neue Schutzgebiete in Flachwasserbuchten und angrenzenden Riedwiesen sorgen für einen besseren Schutz der Brutvögel. Gerade diese Lebensräume wurden von mehreren Brutvogelarten neu besiedelt, beispielsweise Reiherente, Schnatterente, Mittelmeermöwe und Bartmeise. Dennoch konnte nicht verhindert werden, dass Bekassine und Grosser Brachvogel als Brutvögel verschwanden. Dank der Einschränkung der direkten Verfolgung und des Verbots einiger Umweltgifte weisen heute fast alle Greifvogel- und Eulenarten wieder hohe Bestände auf – in Einzelfällen wie beim Rotmilan vermutlich sogar die höchsten jemals erreichten.

Verbreitete Arten werden häufiger, Zugvögel seltener

Die Bestandsentwicklung der Brutvögel der Schweiz, der Swiss Bird Index SBI®, zeigt insgesamt eine leicht positive Entwicklung. Dies ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass verbreitete Arten häufiger wurden. Etliche seltene und bedrohte Vogelarten wurden noch seltener, ihr Index (SBI®-Teilindex Rote Liste) sank seit 1990 auf heute magere 55 %.

Insbesondere Langstreckenzieher, die in Afrika südlich der Sahara überwintern, nehmen praktisch in der ganzen Schweiz ab. Sie sind spezialisierter und stärker von Lebensraum- und Klimaveränderungen sowohl im Brut- als auch im Überwinterungsgebiet betroffen und damit verletzlicher als Standvögel und Kurzstreckenzieher. Dass der Artenschwund der Langstreckenzieher vor allem in den tieferen, von menschlichen Aktivitäten stark geprägten Lagen der Schweiz erfolgte, ist ein starkes Indiz dafür, dass die Rückgänge unserer Langstreckenzieher zu einem grossen Teil «hausgemacht» sind.

Die Änderung der Verbreitung der Langstreckenzieher (30 Arten) seit 1993–1996 zeigt in tieferen und mittleren Lagen praktisch durchgehend eine negative Bilanz.

Die Bestände vieler Waldarten nehmen zu

60 Arten oder fast ein Drittel der Brutvögel der Schweiz brüten hauptsächlich im Wald, etliche Arten zudem auch in baumbestandenen Siedlungen. Ihr Index (SBI®-Teilindex Wald) stieg von 100 % 1990 auf 116 % 2016. Wie der Atlas 2013–2016 zeigt, profitierten viele Waldarten von einer naturnahen Waldbewirtschaftung (mehr Naturverjüngung, weniger monotone Fichtenforste im Flachland), einer Verdopplung des Totholzvolumens in knapp 20 Jahren und der Ausdehnung der Waldfläche vor allem im Alpenraum. In den Wäldern des Mittellands und des Juras ist die Totholzmenge aber auch heute noch gering. Allerdings hat auch der Holzvorrat zugenommen, weshalb Arten von lichten und strukturreichen Wäldern wie das Auerhuhn relativ wenige geeignete Lebensräume vorfinden.

Positive Entwicklung seit 1993–1996 des Vorkommens von acht häufigen Arten, für die Tot- und Altholz von grosser Bedeutung sind (Grünspecht, Schwarzspecht, Buntspecht, Mittelspecht, Kleinspecht, Haubenmeise, Mönchsmeise, Waldbaumläufer).

Drastische Verluste bei den Brutvögeln des Kulturlands

Seit 25 Jahren werden für ökologische Leistungen in der Landwirtschaft namhafte Beiträge bezahlt. Welche Vogelarten im Kulturland zu fördern sind, hat der Bund in den «Umweltzielen Landwirtschaft» (UZL) festgelegt. Deren Index (SBI®-Teilindex Zielarten UZL) sank von 100 % 1990 auf 42 % 2016. Der Atlas 2013–2016 belegt, dass heute grossflächig weniger UZL-Arten zu finden sind als noch vor 20 Jahren. Und dort, wo die aktuellen Verluste gering sind, waren schon 1993–1996 nur noch wenige Kulturlandarten vorhanden.

Die Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung erfasst zunehmend auch die mittleren und höheren Lagen. So werden nährstoffarme Wiesen immer seltener und der erste Grasschnitt erfolgt stets früher. Derart früh geschnittene Wiesen werden zu ökologischen Fallen für Bodenbrüter wie Feldlerche und Braunkehlchen, denn die Bruten werden vermäht.

Mit den getroffenen Massnahmen ist somit nicht einmal eine Verlangsamung der Verarmung erreicht worden. Positive Beispiele an verschiedenen Orten zeigen aber, dass mit den vorhandenen Instrumenten eine solche Förderung machbar wäre. Dass dies flächig nicht der Fall ist, liegt daran, dass zu wenig Gewicht auf hochwertige Biodiversitätsförderflächen-Typen wie Buntbrachen gelegt wird und dass die Vernetzungsprojekte zu wenig auf die Bedürfnisse der Zielarten ausgerichtet sind.

Dennoch haben auch im Flachland einige Arten zugenommen, so Rotmilan, Turmfalke oder Rabenkrähe. Es handelt sich aber durchwegs um anpassungsfähige Vogelarten, die ihr Nest ausserhalb der Kulturen (z.B. Waldränder) haben und nicht auf Insekten als Nahrung angewiesen sind.

Schweizweit gehören Vögel des Kulturlands zu den grossen Verlierern: Änderung der Verbreitung seit 1993–1996 der Vogelarten der «Umweltziele Landwirtschaft» (UZL). Die Karte entstand durch die Kombination der Veränderungskarten von 35 Arten.

Feuchtgebiete und Gewässer: Hotspots der Artenvielfalt unter Druck

Die wenigen noch verbliebenen Feuchtgebiete sind heute meist gut geschützt und die Gebietspflege hat sich vielerorts verbessert. Die Bestände vieler Feuchtgebietsarten sind seit den Neunzigerjahren entsprechend etwas angestiegen. Doch sind sie nach wie vor klein und können die früheren Verluste nicht kompensieren. Neben Flächenverlust und Isolation der Feuchtgebiete liegen die Hauptprobleme beim Nährstoffeintrag und im Einfluss des Menschen auf den Wasserhaushalt, bedingt durch Wasserstandregulierungen und Drainage. Zudem werden diese Gebiete trotz Schutzstatus immer mehr durch menschliche Störungen verschiedenster Art beeinträchtigt. Revitalisierungen können Abhilfe schaffen, aber eine ausreichende Grösse, geeignete Pflege und eine gute Besucherlenkung sind essenziell, damit diese Gebiete auch seltenere Brutvögel wie Wasserralle und Zwergdommel beherbergen können.

Die Vorkommen 2013–2016 der zehn selteneren Entenarten (Eiderente, Mandarinente, Kolbenente, Tafelente, Moorente, Reiherente, Knäkente, Löffelente, Schnatterente, Krickente) sind ein Hinweis dafür, wo strukturreiche Feuchtgebiete zu finden sind. Diese beherbergen noch weitere spezialisierte Feuchtgebietsbewohner.

Siedlungswachstum hilft nur wenigen Arten

Die Siedlungsfläche in der Schweiz dehnte sich von 1985 bis 2009 um rund 23 % aus. Gerade in den Übergangsbereichen zwischen Siedlung und Kulturland sind zwischenzeitlich viele ökologisch wertvolle Lebensräume (z.B. Hochstamm-Obstgärten) überbaut worden und naturnahe Restparzellen verschwunden. Vom Siedlungswachstum profitieren relativ wenige Vogelarten, auch wenn die Artenvielfalt im Siedlungsraum oft höher ist als im angrenzenden, intensiv genutzten Kulturland. Der Siedlungsraum wird aber zunehmend dichter bebaut und stärker versiegelt, und die verbleibenden Grünräume werden häufig zu intensiv gepflegt oder sind naturfern gestaltet. Ruderalflächen und extensiv gepflegte Randstrukturen, die ein reiches Samen- und Insektenangebot bieten, werden zusehends seltener. Auch Gebäudebrüter wie Mauersegler und Mehlschwalbe haben es schwer, denn sie sind stark von der Toleranz des Menschen abhängig. Zudem entstehen für sie als Folge der heutigen «perfekten» Bauweise kaum neue Nischen und im Zuge von Renovationen verschwinden viele bestehende.

Die Alpen – eine Welt im Umbruch

Die Alpen nehmen rund 60 % der Landesfläche ein. Durch den grossen Höhengradienten und die landschaftliche Vielfalt vermögen sie etliche Negativtrends von Brutvögeln abzuschwächen: Arten wie Kuckuck oder Gartenrotschwanz sind im Mittelland weitgehend verschwunden, im Alpenraum aber noch relativ gut vertreten. Doch auch hier macht sich die zunehmende landwirtschaftliche Intensivierung bemerkbar, und die Bestände beispielsweise von Braunkehlchen und Feldlerche nehmen drastisch ab. Zudem wachsen in Grenzlagen viele offene, oft artenreiche Flächen infolge der Aufgabe der Nutzung zu. Immer mehr touristische Infrastrukturen und Freizeitaktivitäten führen dazu, dass störungsarme Räume zusehends kleiner werden. Die Klimaerwärmung ist in den Alpen doppelt so stark wie im Durchschnitt der nördlichen Hemisphäre. Dies hat bereits jetzt Auswirkungen, wie die Rückgänge von Alpenschneehuhn und Ringdrossel zeigen.

Die Klimaerwärmung wirkt sich aus und drängt viele Brutvögel nach oben

Das Klima in der Schweiz ist in den letzten 30 Jahren deutlich wärmer geworden. Die Winter werden kürzer und die Vegetation entwickelt sich früher. Das dürfte mit ein Grund dafür sein, dass Vogelarten aus dem Mittelmeerraum in der Schweiz zunehmen. Zudem hat sich die Höhenverbreitung der Brutvögel zwischen 1993–1996 und 2013–2016 im Durchschnitt um 24 m nach oben verschoben. Die mittlere Höhenverbreitung von fast zwei Drittel der 71 eher häufigen Arten hat sich erhöht, bei 22 davon sogar um mehr als 50 m. Dagegen ist die Höhenverbreitung nur bei 4 Arten um mehr als 50 m gesunken.

Besorgniserregend ist vor allem, dass 20 Arten mit unterschiedlichen Lebensraumansprüchen (z.B. Trauerschnäpper, Alpenbraunelle, Baumpieper) ein gemeinsames Muster zeigen: Sie nehmen in tieferen Lagen ab und in höheren Lagen zu. Dieser Effekt dürfte sich in Zukunft weiter verstärken. Weil die Fläche geeigneter Lebensräume mit steigender Höhe abnimmt, läuft diese Entwicklung auf Bestandsverluste hinaus.

Änderung der durchschnittlichen Höhenverbreitung von 71 Brutvogelarten zwischen 1993–1996 und 2013–2016. Die Arten, deren Höhenverbreitung gestiegen ist (oberhalb der roten Säule), sind deutlich zahlreicher als die Arten mit einer tieferen Höhenverbreitung (unten).

Die Artenförderung verhalf einigen gefährdeten Arten zur Trendwende

Eine Reihe gefährdeter Arten kann nur mit spezifischen Massnahmen erhalten und gefördert werden. Seit 2003 verstärkt das Programm «Artenförderung Vögel Schweiz» die Anstrengungen zum Schutz ausgewählter Vogelarten. Der Atlas 2013–2016 bestätigt, dass die Bemühungen erfolgreich sind. So lassen sich einige Arten mittels Nisthilfen fördern, beispielsweise Schleiereule, Flussseeschwalbe, Wiedehopf und Dohle. Bei anderen Arten sind gezielte Massnahmen zur Aufwertung des Lebensraums nötig. Dass dies funktioniert, zeigen Steinkauz, Wendehals und Mittelspecht. Um die Bestände dieser Arten langfristig zu sichern, muss die Artenförderung weitergeführt werden. Andere Arten werden wegen Bestandsrückgängen neu in die Artenförderung aufgenommen werden müssen. Damit diese dringenden Herausforderungen zu meistern sind, braucht es die nötigen finanziellen Mittel sowie gegenseitiges Verständnis und eine enge Zusammenarbeit zwischen Behörden, Naturschutz, Landbesitzern und Landnutzern.

Fazit

Der Atlas 2013–2016 zeigt für etliche Vogelarten ein erfreuliches Bild. Das hängt oft auch damit zusammen, dass diese Arten den Wald bewohnen und von den dortigen Verbesserungen profitieren. Dies kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass viele seltene Arten seit 1993–1996 noch seltener geworden sind und dass aufwändige Massnahmen notwendig sind, damit sie nicht ganz verschwinden.

Die menschlichen Aktivitäten haben einen immer stärkeren Einfluss auf die Vogelwelt. Neben dem Landschaftswandel nehmen vor allem Störungen durch Freizeitaktivitäten zu. Daher sind für unsere Vögel Refugien zu schaffen – seien sie zeitlich und/oder räumlich. Im Wald muss die naturnahe Waldbewirtschaftung weitergeführt und Totholz insbesondere im Mittelland und Jura gefördert werden. Im Kulturland sind viel stärkere Anstrengungen für einen wirklich greifenden ökologischen Ausgleich notwendig. Feuchtgebiete und Gewässer sollten besser vor negativen Einflüssen (z.B. Störungen, Nährstoffe, Pestizide, Entwässerung) geschützt werden. Zudem müssen mehr und grosse Revitalisierungsprojekte umgesetzt werden. In den Siedlungsräumen sind unüberbaute Flächen und vor allem ökologisch wertvolle Bereiche zu erhalten oder bei einer Überbauung entsprechend zu ersetzen. Bauen ausserhalb der Bauzone muss wirksam gestoppt werden. Wertvolle Ersatzlebensräume wie Kiesgruben und Steinbrüche sind auch nach dem Ende der Nutzung zu erhalten. Auch Konsumentinnen und Konsumenten können einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der heimischen Biodiversität leisten, indem sie bewusst biodiversitätsfreundlich und regional produzierte Produkte kaufen. Und rund ums eigene Haus oder auf dem Balkon kann mit einheimischer Bepflanzung, einer vielfältigen Gestaltung und einem Verzicht auf Pestizide viel für die Vögel gemacht werden.

Der Atlas 2013–2016 enthält eine Fülle von Daten und zeigt auf, wo die Probleme unserer Brutvögel liegen. Wir hoffen, dass er mithelfen kann, Lösungen anzugehen und etlichen zurückgedrängten Vogelarten wieder zu einer erfolgreichen Rückkehr zu verhelfen.