Ausdehnung des Siedlungsraums hat Folgen für Kulturlandvögel

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Durch die Siedlungsausdehnung gehen oft wertvolle Lebensräume wie Obstgärten oder extensive Weiden verloren. © Markus Jenny

Die Siedlungsfläche hat sich in der Schweiz seit den Neunzigerjahren weiter ausgedehnt. Einige Vogelarten kommen mit dieser Entwicklung zurecht und finden hier einen ihnen zusagenden Lebensraum. Andere Arten, insbesondere Kulturlandarten, sind jedoch wegen der Siedlungsausdehnung und der intensiven Nutzung des Umlands stark zurückgegangen.

Die Siedlungsfläche in der Schweiz nimmt laufend zu, besonders im Mittelland und in verkehrsgünstigen Tallagen. Zwischen 1997 und 2009 ist sie um 0,8 % pro Jahr gewachsen. Entgegen der oft geäusserten politischen Absicht wird regelmässig ausserhalb der Bauzone gebaut, unter anderem in Landschaftsschutzzonen. Gemäss der Arealstatistik 2004–2009 liegen knapp 38 % aller Siedlungsflächen ausserhalb der Bauzonen.

Siedlungsausdehnung und Zersiedelung

Neu entstandene Siedlungsareale wurden zu 89 % auf Landwirtschaftsflächen gebaut. Am stärksten betroffen waren dabei Wiesen (32,8 %) und Ackerland (31,5 %). Auch viele Obst-, Reb- und Gartenbauflächen (13,5 %) wurden überbaut. Demgegenüber waren Wald oder Gehölze weniger betroffen (9,1 %), auch weil der Wald über einen gesetzlich stärker verankerten Schutz verfügt als das Kulturland.

Mit dem Siedlungswachstum ist auch die Zersiedelung grösser geworden. Viele der ehemals weitläufigen Kulturlandschaften sind heutzutage mit Strassen, Gebäuden und Industriebauten, aber auch Masthallen, Gewächshäusern und eingenetzten Spezialkulturen «durchsetzt» und haben ihren offenen Charakter verloren. Die Zersiedelung nahm von 1960 bis 1980 besonders stark zu, bevor sie sich bis 2002 wieder verlangsamte. Von 2002 bis 2010 war der jährliche Anstieg der Zersiedelung dann aber wieder fast dreimal so schnell wie 1980–2002. Gleichzeitig wird das übrigbleibende Kulturland immer intensiver bewirtschaftet. Zugenommen hat auch die zeitweise Bedeckung von Feldern mit Folien. Auch zahlreiche landwirtschaftliche Wege wurden asphaltiert. Neben diesem Lebensraumverlust kommen Störungen hinzu, vor allem durch eine erhöhte Präsenz des Menschen und diverse Freizeitaktivitäten, die immer mehr Raum einnehmen. Die Zersiedelung wirkt sich somit insbesondere auf die Brutvögel des Kulturlands negativ aus.

Lebensraumverlust in und um Siedlungen

Gerade in den Übergangsbereichen zwischen Siedlung und Kulturland sind viele ökologisch wertvolle Lebensräume (z.B. Obstgartengürtel) überbaut worden. Vogelarten, die diesen Lebensraum bevorzugen (z.B. Wendehals, Gartenrotschwanz, Grauschnäpper), nahmen dadurch im Bestand ab.

Ein raumplanerisches Mittel gegen die Siedlungsausdehnung ist die Verdichtung nach innen. Dies gefährdet aber noch vorhandene naturnahe Grünräume innerhalb der Siedlungen wie Baumbestände oder alte Gärten. Inzwischen sind 60 % der Flächen im Siedlungsraum versiegelt. Auch deswegen hat die Artenvielfalt (z.B. von Gefässpflanzen) in den Siedlungen in den letzten 10 Jahren weiter abgenommen. Trotzdem ist die Artenvielfalt im Siedlungsraum (z.B. von Vögeln, Gefässpflanzen und Moosen) sogar oft höher als im angrenzenden Kulturland, wenngleich es über die ganze Schweiz gesehen zu einer Urbanisierung und damit zu einer Homogenisierung der Artenvielfalt kommt.

Siedlungsausdehnung und Rückgang von Kulturlandvögeln: ein Beispiel

Der Landschaftswandel findet oft kleinräumig und schleichend statt. Die Auswirkungen auf die Vogelwelt sind gravierend, aber auf der Basis der kartierten Kilometerquadrate (1 × 1 km) für die Atlanten 1993–1996 und 2013–2016 ist die Entwicklung nicht immer offensichtlich. Denn viele Kulturlandschaften wurden bereits vor 20 Jahren so intensiv bewirtschaftet, dass zahlreiche Arten schon damals in weiten Teilen des Mittellands nur noch in geringer Dichte anzutreffen (z.B. Kuckuck, Feldlerche, Gartenrotschwanz) oder weitgehend verschwunden waren (z.B. Rebhuhn, Braunkehlchen). Das schwächt das Ergebnis bei einem allgemeinen Vergleich der Kartierungen von 1993–1996 und 2013–2016 stark ab, weshalb wir die Entwicklung an einem Beispiel zeigen.

Die beiden Ortschaften Corcelles-près-Payerne VD und Payerne VD haben sich in den letzten 20 Jahren stark ausgedehnt und sind mittlerweile faktisch zusammengewachsen. Die Bevölkerung hat in den zwei Gemeinden zwischen 1995 und 2015 um 39 bzw. 28 % zugenommen. Im kartierten Kilometerquadrat ist in dieser Zeit ein neues Wohnquartier entstanden und zahlreiche alte Baumbestände, Feldgehölze und Hecken gingen verloren. Zwischen 1995 und 2015 verschwanden etliche Vogelarten fast oder ganz, die solche Übergangslebensräume besiedeln. Die Gesamtartenzahl ist hier innerhalb von 20 Jahren von 48 auf 31 Arten gesunken. Lediglich drei Arten wurden neu festgestellt: Schwarzmilan, Turmfalke und Buntspecht.

Corcelles-près-Payerne VD im Jahr 1972 (oben), 1996 (mitte) und 2013 (unten). In der linken unteren Ecke wurde vor allem zwischen 1996 und 2013 ein ganzes Quartier gebaut. Infolge der Siedlungsausdehnung verschwanden viele Baumbestände, Feldgehölze und Hecken.

© Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA180142).

Der starke Rückgang der Arten ist mit dem Verschwinden von unbebauten Arealen zu erklären, aber auch mit einer Intensivierung der übrig gebliebenen Flächen (z.B. grössere Flurstücke, weniger Feldsäume). So besteht das Offenland praktisch nur noch aus intensivem Kulturland für den Futterbau und einzelnen Hochhecken. Zudem sind die Gärten in den neueren Quartieren jung und oft naturfern gestaltet. Sie werden nur durch einige Arten mit geringen Lebensraumansprüchen besiedelt.

Zukünftige Entwicklung?

Es ist vordringlich, dass Kultur- und Naturlandschaften geschützt und aufgewertet werden und zumindest teilweise von menschlicher Nutzung verschont bleiben. Seit geraumer Zeit wird mit Raumplanungsgesetzen, Richtplänen sowie Bau- und Zonenordnungen versucht, eine Zersiedelung zu vermeiden und die Siedlungsausdehnung zu bremsen. Insbesondere die Gemeinden haben hier eine grosse Verantwortung.

In den Siedlungsräumen sollten unüberbaute Flächen und vor allem ökologisch wertvolle Bereiche erhalten bleiben oder bei einer Überbauung entsprechend ersetzt werden. Dazu sollten unter anderem die erhaltenswerten Objekte inventarisiert werden, wie dies zum Teil in einigen Gemeinden gemacht wird. Ein besonderes Augenmerk ist zudem auf das Bauen ausserhalb der Bauzone zu richten, wo – entgegen gesetzlicher Grundlagen – nach wie vor regelmässig Bauten entstehen.

Text: Judith Zellweger-Fischer


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