Brutvögel vor den Toren der Schweiz

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Für eine erfolgreiche Jungenaufzucht ist der Kranich auf ungestörte Feuchtgebiete, Moore und Sumpfwälder angewiesen. © Markus Varesvuo

Mehrere Vogelarten dehnen derzeit ihr Brutgebiet in Mitteleuropa aus. Einige von ihnen haben die Schweiz fast schon erreicht. Damit sie bei uns als Neulinge oder Rückkehrer eine Heimat finden, ist es unabdingbar, dass ihre Lebensräume auch hierzulande ausreichend geschützt werden.

Es ist heute kaum vorstellbar, dass der erste Brutnachweis der Saatkrähe in der Schweiz erst 1963 erfolgt ist und dass die Türkentaube vor 1950 bei uns noch kein Brutvogel war. Insgesamt ist die Verbreitung einer Art ein Abbild der Dynamik ihrer Teilpopulationen, die je nach Zeitraum starken Veränderungen unterworfen sein kann und deren Gründe nicht immer bekannt sind. Einige der Arten, welche die Schweiz erreichen, profitieren davon, dass sich ihr Nahrungsangebot aufgrund von Lebensraumveränderungen verbessert hat. Ähnlich kann sich auch die Klimaerwärmung auswirken und den Bestand und die Verbreitung beeinflussen. In Einzelfällen haben internationale Artenschutzprogramme mit Sensibilisierungskampagnen und Managementmassnahmen der Lebensräume solche Ausbreitungsphasen eingeleitet oder zumindest unterstützt. Bei anderen Arten liegen die massgeblichen Faktoren noch im Dunkeln.

Die jüngsten Neuzugänge unter den Schweizer Brutvögeln

Oft lässt sich die baldige Ansiedlung einer Art als Brutvogel an gewissen Vorzeichen erkennen, wie etwa an steigenden Durchzugszahlen oder am Näherrücken grenznaher Vorkommen. So standen am Ende des Atlas 1993–1996 einige Vogelarten mit Ausbreitungstendenz vor den Toren der Schweiz. Dazu gehörten der Weissrückenspecht und der Zwergschnäpper, die dann 1999 und 2003 im Prättigau GR als Brutvögel entdeckt worden sind. Deutlich eindrucksvoller als diese eher zögerlichen Vorstösse war ab 2001 der Auftritt des Kormorans unter den Schweizer Brutvögeln: 15 Jahre nach der ersten Brut am Fanel BE/NE und nach einer starken Ausbreitungsperiode waren es 2016 bereits 11 Kolonien und nicht weniger als 2099 Brutpaare in unserem Land. In jüngster Zeit ist schliesslich noch der Schlangenadler auf die Liste der Brutvögel der Schweiz gelangt, wohl als Folge der Bestandszunahme in den Mittelmeerländern.

Zukünftige Neuankömmlinge bzw. Rückkehrer?

Nach dem praktisch vollständigen Verschwinden des Schwarzstorchs in ganz Mitteleuropa, unter anderem wegen direkter Verfolgung und intensiverer Waldbewirtschaftung, haben sich seine Bestände in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts europaweit gut erholt, vor allem im Osten. Grundlage für diesen Aufschwung sind der nachlassende Jagddruck und verschiedene Artenförderungsprogramme, in deren Rahmen die Neststandorte wie auch die Winterquartiere südlich der Sahara geschützt wurden. Seit 2003 liegen die nächsten deutschen Brutplätze nur etwa 20 km vom Bodensee entfernt. Auch wenn im Schweizer Mittelland grossflächige, ungestörte Waldgebiete weitgehend fehlen, deuten Sommerbeobachtungen des Schwarzstorchs in den letzten Jahren doch an, dass eine Ansiedlung in naher Zukunft möglich ist. Unterstützt werden könnte dies durch raumplanerische Massnahmen, insbesondere durch den Verzicht auf den Bau von weiteren Waldstrassen.

Bestandsentwicklung des Schwarzstorchs im grenznahen Ausland.

Auch der Kranich dehnt sein Brutgebiet seit den Sechzigerjahren allmählich wieder nach Südwesten aus. Er profitiert von der Schaffung von Schutzgebieten und von Kampagnen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit. Ab mindestens dem 19. Jahrhundert wurde sein Lebensraum in zahlreichen Regionen Europas infolge der Entwässerung der grossen Ebenen und der darauffolgenden Umwandlung in Kulturland beeinträchtigt und immer kleiner. Seit 1995 brütet der Kranich aber wieder in Frankreich (Lothringen), seit 2002 in Bayern und seit 2016 in Baden-Württemberg, 45 km vom Bodensee entfernt. Obwohl in der Schweiz gelegentlich einzelne Vögel übersommern, könnte eine Ansiedlung über den Rhein hinaus angesichts des geringen Angebots an ausreichend grossen Feuchtgebieten, Mooren und Sumpfwäldern gebremst werden.

Der Fischadler hat in der Schweiz bis 1911 gebrütet und gehört ebenfalls zu den potenziellen zukünftigen Brutvögeln. Seit den Siebzigerjahren wird er ebenfalls weniger verfolgt als früher und profitiert zudem von neu geschaffenen Naturschutzgebieten, vom gezielten Horstschutz, vom Angebot an Nestplattformen und von Wiederansiedlungsprojekten in mehreren Ländern Europas. In Bayern breitet er sich langsam wieder aus, ebenso in Frankreich, wo er in Lothringen nur 140 km von der Schweiz entfernt brütet. Hierzulande kam es in den letzten Jahren zu mehreren Sommerbeobachtungen. Im Seeland BE/FR läuft zurzeit ein von Nos Oiseaux betreutes Wiederansiedlungsprojekt mit Jungvögeln aus Schottland, Deutschland und Norwegen. Die Zukunft wird zeigen, ob diese Bemühungen zusammen mit der natürlichen Bestandsdynamik zu einem dauerhaften Bestand des Fischadlers in der Schweiz führen.

Verbreitung des Fischadlers in Mitteleuropa.

© Hintergrundkarte: Natural Earth, Stamen Design & Open- StreetMap

Schliesslich könnten in naher Zukunft auch Seidenreiher und Kuhreiher die einheimische Brutvogelwelt bereichern. Beide breiten sich im grenznahen Frankreich und Italien aus, und der Seidenreiher hat 2014 bei Zug bereits einen Brutversuch unternommen.

Hochwertige Lebensräume für eine vielfältige Vogelwelt

Es ist schwierig vorauszusagen, welche Vogelarten der Schweizer Brutvogelliste als nächstes hinzugefügt werden können. Die folgende, nicht vollständige Aufzählung enthält einige weitere Kandidaten, wobei auch der nächste Brutplatz erwähnt ist, der in den Jahren 2013–2016 mindestens einmal besetzt gewesen ist: Purpurhuhn (Dombes, 75 km), Gänsegeier (Vercors, 160 km), Seeadler (Moselle, 150 km), Samtkopfgrasmücke (Aostatal, weniger als 20 km), Kappenammer (Lombardei, 110 km).

Wann diese Arten allenfalls in der Schweiz brüten, hängt auch davon ab, welche Lebensraumqualität wir ihnen anbieten. Entscheidend ist daher, dass unsere Naturräume intakt und vielfältig bleiben. Grossräumig sind die Schutzbemühungen der Brutgebiete, der Zugwege und der Winterquartiere essenziell. Sie müssen weitergeführt und verstärkt werden, damit sich diese und auch andere Arten wieder ausbreiten können.

Text: Jérémy Savioz


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