Hühner: Pflanzenfresser als Spielbälle des Wetters

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Hühnerküken wie diese Alpenschneehühner können zu Beginn ihre Körpertemperatur nicht selbstständig aufrechterhalten. Sie müssen sich regelmässig im Gefieder der Henne aufwärmen. Bei kaltem Wetter können sie nur noch kurze Ausflüge unternehmen, wodurch sie zu wenig Nahrung aufnehmen und an Nahrungsmangel zugrunde gehen. © Christian Marti

Der Bruterfolg der Hühnervögel ist sehr variabel, vor allem aufgrund des Wetters in der Aufzuchtzeit. Herrscht dann kühles und regnerisches Wetter, sinken die Bestände. Die Bestandsschwankungen sind für alle Hühnervögel typisch. Speziell beim Steinhuhn zeigt sich das auch an Arealrückgängen und Wiederausbreitungen.

Zu den Hühnervögeln der Berge zählen fünf Arten: Alpenschneehuhn, Birkhuhn, Haselhuhn und Auerhuhn gehören zu den Raufusshühnern mit mindestens teilweise befiedertem Lauf, das Steinhuhn zu den Glattfusshühnern. Alpenschneehuhn und Steinhuhn sind Arten der offenen Landschaft, wobei das Alpenschneehuhn in den Alpen oberhalb der Baumgrenze lebt. Die anderen drei Arten sind an Bäume bzw. an den Wald gebunden, wobei das Birkhuhn nur sehr offene Wälder entlang der oberen Waldgrenze bewohnt.

Anpassungen an den Bergwinter

Raufusshühner schaffen es dank verschiedener Anpassungen in Körperbau und Verhalten, auch während des Winters in ihren Lebensräumen in den Bergen zu bleiben. Sie haben ein besonders gut isolierendes Gefieder; beim Alpenschneehuhn sind sogar die Zehen befiedert. Dazu passen die Hühner ihr Verhalten so an, dass sie möglichst wenig Energie verbrauchen. Neben kurzen Aktivitätsphasen zur Nahrungsaufnahme verbringen mehrere Arten viel Zeit in selbstgegrabenen Schneehöhlen, in denen die Temperatur nur wenig unter null liegt, auch wenn die Lufttemperatur ausserhalb der Höhle auf fast –20 °C sinkt.

Ausgewachsene Hühnervögel sind Vegetarier, die grundsätzlich leicht verdauliche Kost wie Beeren und Samen bevorzugen, die sie in der niedrigen Vegetation am Boden finden. Besonders beliebt sind Zwergsträucher. Für Raufusshühner ist auch im Winter immer genügend Nahrung da, da sie sich weitgehend von Triebspitzen, Knospen und Nadeln von Zwergsträuchern, Sträuchern und Bäumen ernähren können. Damit allerdings diese ballaststoffreiche Nahrung überhaupt verwertet werden kann, haben die Hühnervögel einen speziell angepassten Verdauungstrakt. Für die Zerkleinerung der harten Nahrung nehmen sie Magensteinchen auf, und sie haben zwei lange Blinddärme, in denen unter der Mithilfe von Bakterien die Zellulose verdaut wird. Das Verdauungssystem kommt bei solcher Kost mit geringem Nährwert rasch an Grenzen und kann nicht mehr Nahrung aufschliessen, als für das Überleben gerade nötig ist. Ein zusätzlicher Energieaufwand durch Störungen kann kaum aufgefangen werden.

Das Steinhuhn kommt mit den harschen Bedingungen im Bergwinter weniger gut zurecht. Es ist ganzjährig auf relativ gut verdauliche Krautpflanzen angewiesen. Wenn im Lebensraum des Steinhuhns an steilen, südexponierten Hängen der Schnee nicht rasch wegrutscht oder schmilzt, muss es tiefere Lagen aufsuchen und erscheint dann bei Maiensässen oder sogar in den noch wesentlich tiefer gelegenen Dörfern.

Die Nachwuchsrate beim Birkhuhn (Anzahl Küken pro Henne) im Nordtessin (biogeografische Region «Südalpen» innerhalb des Kantons Tessin) von 1981 bis 2017 ist starken Schwankungen unterworfen, weist aber keinen langfristigen Trend auf.

© Quelle: Ufficio caccia e pesca Canton Ticino

Bruterfolg stark wetterabhängig

Charakteristisch für alle Hühnervögel sind einerseits die grossen Gelege (bis zu 14 Eier beim Steinhuhn), andererseits die Wetterabhängigkeit der Küken. In den ersten Tagen nach dem Schlüpfen können die Küken ihre Körpertemperatur nicht selbstständig aufrechterhalten und müssen sich immer wieder unter der Henne wärmen. Da bleibt bei kühlem, regnerischem Wetter nicht mehr viel Zeit für die Nahrungssuche. Zudem sind Küken auf Wirbellose (Insekten, Spinnen) angewiesen. Hält schlechtes Wetter lange an, gehen die Küken rasch ein.

Der Fortpflanzungserfolg bei den Hühnervögeln ist deshalb stark vom Wetterverlauf während der Brut- und Aufzuchtzeit abhängig und kann von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich sein. Das wiederum kann zu grossen Bestandsschwankungen im Folgejahr führen, besonders ausgeprägt bei Birkhuhn und Steinhuhn.

Beim Alpenschneehuhn wächst der Bestand, wenn die Julitemperatur dem langjährigen Mittel entspricht. Ist der Juli indes zu kühl, ist der Bestand im folgenden Jahr kleiner. Aber auch sehr heisse Sommertemperaturen scheinen lokale Bestandsabnahmen zu verursachen.

Die Daten des «Monitorings Häufige Brutvögel» (MHB) illustrieren die Bestandsschwankungen des Steinhuhns. In den Jahren 2006–2008 (oben) mit steigenden Beständen wurden fast dreimal so viele Reviere kartiert als in den Jahren 2010–2012 (unten) mit negativem Bestandstrend.

Schwankungen des Bestands und teilweise auch des Areals

Die Bestandsentwicklung des Birkhuhns im Nordtessin verläuft parallel zur Nachwuchsrate im Vorjahr. Mit einer Nachwuchsrate von knapp 2 Küken pro Henne bleibt der Bestand von Jahr zu Jahr gleich. Die Küken schlüpfen im Nordtessin in der zweiten Julihälfte, wenn die höchsten mittleren Tagestemperaturen erreicht werden. Von 1981 bis 2017 war die Nachwuchsrate im Nordtessin starken Schwankungen unterworfen, wies aber keinen langfristigen Trend auf. Im Südtessin dagegen nahm der Fortpflanzungserfolg ab, wohl eine Folge der Aufgabe der Alpwirtschaft. Bei anhaltender Abnahme wird dies zu einem Arealverlust führen.

Auch der Bestand des Steinhuhns unterliegt markanten Schwankungen, die durch den jährlich unterschiedlichen Fortpflanzungserfolg hervorgerufen werden. Bestandsmaxima wurden in der Schweiz um 1945 und 1993 erreicht, unterbrochen von tiefen Beständen in den Jahren dazwischen. In jüngster Zeit waren 2006–2008 und 2015–2016 Jahre mit hohen Beständen, wohingegen 2001–2003 und 2010–2012 tiefe Zahlen registriert wurden. Die Schwankungen zeigen sich auch in den Daten des «Monitorings Häufige Brutvögel» (MHB). So wurden in den Jahren 2006–2008 insgesamt 71 Reviere des Steinhuhns in 23 Kilometerquadraten kartiert. 2010–2012 waren es dagegen nur 26 Reviere in 14 Kilometerquadraten. Diese Bestandsschwankungen wirken sich auch auf die Grösse des Brutgebiets aus, weil das Steinhuhn in den Alpen den nördlichen Arealrand erreicht.

Herausforderungen für mehrere Arten gross

Die «Sorgenkinder» unter den Hühnervögeln der Berge sind Auerhuhn und Alpenschneehuhn. Beim Auerhuhn wurde die kritische Situation sowie der Handlungsbedarf schon vor vielen Jahren erkannt, und die nötigen Massnahmen, Auflichtung zu dichter Waldbestände und Schutz vor Störung, werden im Rahmen eines nationalen Aktionsplans sowie kantonaler Konzepte umgesetzt.

Beim Alpenschneehuhn lassen regional unterschiedliche Trends vermuten, dass lokal unterschiedliche Faktoren für die negativen Trends verantwortlich sind. Von 1995 bis 2013 resultierte eine Abnahme um 13 %. Diese Situation ist beunruhigend, vor allem auch, da das Verbreitungsgebiet wegen der Klimaerwärmung schrumpfen dürfte und schon jetzt eine deutliche Verschiebung der Beobachtungen nach oben festzustellen ist.

Beim Haselhuhn gibt die Verkleinerung des Verbreitungsgebiets im zentralen Jura zur Sorge Anlass. Birkhuhn und Steinhuhn sind neben den Folgen der Klimaerwärmung am stärksten durch die Veränderungen des Lebensraums bedroht. Sowohl die Nutzungsaufgabe als auch die Intensivierung der Nutzung und die verstärkte touristische Nutzung wirken sich negativ aus.

Text: Pierre Mollet


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