Mit den Kiesbrütern geht es bachab
Flussregenpfeifer und Flussuferläufer, beides typische Auenarten, haben bei uns einen schweren Stand. Mit diversen Eingriffen hat der Mensch die Flüsse gezähmt und sie für die beiden Limikolenarten entwertet. Revitalisierungen allein garantieren noch keinen Erfolg, denn oft vereiteln Störungen durch Freizeitaktivitäten sowie Hochwasser Brutversuche.
Auf grösseren Kiesbänken unserer Flüsse finden Flussuferläufer und Flussregenpfeifer ihre Brutplätze. Der Flussuferläufer ist auf weitläufige, möglichst störungsarme, naturnahe Auen angewiesen. An Abschnitten mit geringer Fliessgeschwindigkeit werden feinere Sedimente wie Kies, Sand oder Schlick abgelagert, und in der aufkommenden Vegetation kann der Flussuferläufer sein Nest verstecken. Weil der heutige Zustand der Fliessgewässer seinen Ansprüchen mehrheitlich nicht mehr gerecht wird, kann er seinen Bestand kaum halten. Im Mittelland sind sämtliche Brutplätze längst verlassen.
Der Flussregenpfeifer hingegen ist als Pionierart in der Lage, nur kurzfristig bestehende, weitgehend vegetationsfreie Kiesflächen zu besiedeln und auf verschiedene, von menschlichen Aktivitäten stark geprägte Lebensräume auszuweichen (z.B. Kiesgruben, militärische Übungsplätze, Baustellen). Ursprünglich war auch er an natürliche, freifliessende Flüsse gebunden. Wegen menschlichen Eingriffen sind geeignete Kiesflächen zu einem grossen Teil verloren gegangen. So brütet nur noch etwa die Hälfte des Schweizer Bestands an Flüssen. In Bayern sind es gar weniger als 10 %, der Rest brütet in Ersatzlebensräumen. Auch wegen der geringen Bestände figurieren beide Arten in der Schweiz als «stark gefährdet» (EN) auf der Roten Liste.
Massive Lebensraumverluste
Für typische Auenarten sind die Voraussetzungen an unseren Flüssen und ihren Mündungsgebieten in die Seen eher schwierig. Die Auen sind aufgrund der Topografie mehrheitlich eher klein und aufgrund der Fliessgeschwindigkeit wird vielerorts feineres Geschiebe mitgerissen statt abgelagert. Hohe Niederschlagsmengen, wie sie etwa bei Juni-Gewittern in den Bergen fallen, werden zu dieser Zeit oft durch die Schneeschmelze verstärkt. Dies fällt just in jene Zeit, die für das Brutgeschäft der Kiesbrüter entscheidend ist.
Zu diesen naturräumlich bedingten Schwierigkeiten kommen seit den ersten Flusskorrektionen im 18. Jahrhundert immer mehr Eingriffe durch den Menschen dazu: Kanalisierungen der Flussläufe, Bau von Kraftwerken und Infrastrukturanlagen, Einbau von Schwellen, Kiesabbau, Beeinflussung der Geschiebeablagerungen. Zu den Eingriffen ins Flussbett addiert sich die Problematik von Schwall und Sunk hinzu. Diese kurzfristigen und erheblichen Schwankungen der Wasserstände, die durch die Nutzung der Wasserkraft entstehen, gefährden die Bruten zusätzlich. Spülungen zur Freihaltung des Gerinnes und der Prädationsdruck (z.B. durch Krähen und Füchse) stellen zusätzliche Bedrohungen dar. Nicht zuletzt sind Kiesbrüter häufig Opfer der zahllosen Störungen durch menschliche Freizeitaktivitäten verschiedenster Art.
Der Rhein, ein Eldorado für den Flussregenpfeifer?
Beispielhaft ist die Situation am Rhein zwischen Chur GR und Bodensee. Einst berüchtigt für die vielen Überschwemmungen wurde der Rhein ab 1861 in mehreren Etappen begradigt und eingedämmt. Heute ist er auf der ganzen Länge kanalisiert. In der Zwischenzeit haben sich zwischen Sargans SG und Rüthi SG viele Halbinseln gebildet. Während der Flussuferläufer wegen der fehlenden schützenden Vegetation auf den Kiesbänken hier höchstens ausnahmsweise einen Brutversuch wagt, sind diese Flächen attraktiv für den Flussregenpfeifer. Bei günstigem Wasserstand siedeln sich im April rund 30 Paare an. Die Kanalisierung hat jedoch auch für den Flussregenpfeifer diverse Nachteile. Weil das Flussbett verengt ist, schwillt der Pegel schneller an, und mit der beginnenden Schneeschmelze werden rasch die ersten Kiesbänke überschwemmt. Und es können sich kaum Inseln bilden, die einen besseren Schutz vor menschlichen Störungen und vor Landraubtieren bieten würden. Der einzige Vorteil für den Flussregenpfeifer ist, dass die Kiesbänke durch die häufigen Überschwemmungen und durch reissendes Hochwasser weitgehend vegetationsfrei bleiben. Bestandsaufnahmen seit 1989 von H. Aemisegger lassen darauf schliessen, dass längst nicht in allen Jahren ausreichend Junge produziert werden können, um die natürlichen Abgänge auszugleichen.
Revitalisierungen könnten sich positiv auswirken
Seit der Jahrtausendwende wurden in der Schweiz in erster Linie aus Gründen des Hochwasserschutzes zahlreiche Flussabschnitte revitalisiert. In den nächsten Jahrzehnten soll den Gewässern zumindest ein Teil des Raums wieder zurückgegeben werden, der ihnen zuvor genommen wurde. Dies schreibt das 2011 revidierte Gewässerschutzgesetz vor. Von einzelnen solchen Revitalisierungen konnten die Kiesbrüter bereits profitieren: An den revitalisierten Abschnitten des Inn im Oberengadin GR hat sich der Flussuferläufer rasch eingestellt. Auch an der Moesa GR, am Rhein bei Felsberg GR, an der Kander BE und der Rhone VS (Pfynwald) hat der Flussuferläufer an revitalisierten Abschnitten mindestens in einzelnen Jahren gebrütet. Im Reussdelta UR und im Kanderdelta BE profitiert er ebenfalls von Renaturierungen. Hingegen reichten die bisherigen Bemühungen nicht, die Art wieder ins Mittelland zurückzubringen. Eine meist relativ geringe flächige Ausdehnung und ungenügende Besucherlenkung sind mitverantwortlich für die durchzogene Bilanz verschiedener Revitalisierungsprojekte. Wo es – wie etwa an der Thur – gelang, den Flussregenpfeifer anzusiedeln, muss ein hoher Aufwand zum Schutz der Brutplätze vor menschlichen Störungen betrieben werden. Zudem erwiesen sich verschiedene Brutinseln für den Flussregenpfeifer nach wenigen Jahren als unbenutzbar, weil wegen mangelnder Pflege und zu geringer Dynamik rasch viel Vegetation aufkam. Daher braucht es bei künftigen Revitalisierungsprojekten zusätzliche Anstrengungen, damit Kiesbrüter und weitere typische Auenbewohner wirklich profitieren und in Ruhe ihre Jungen aufziehen können.
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