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Gebietsfremde Vogelarten

Begriffsdefinition, Rechtliches

Gebietsfremde Tierarten treten in Lebensräumen ausserhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets auf, die sie nicht aus eigener Kraft hätten erreichen. Sie wurden vom Menschen absichtlich oder unabsichtlich eingebracht. Der bisweilen verwendete Begriff Neozoen ist heute nicht mehr gebräuchlich, weil er nicht synonym zu gebietsfremd ist. Bei gebietsfremden Tierarten entfällt die Definition der Neuzeit mit dem Jahr 1492 (der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus), die für den Begriff „Neozoon“ massgeblich ist. Arten, die aus eigener Kraft in einen Lebensraum einwandern, gelten nicht als gebietsfremd.

Das Aussetzen und je nach Art auch die Haltung und das Einführen von gebietsfremden Arten ist ein Verstoss gegen die eidgenössische Verordnung über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel (JSV).

 

Handel und Ansiedlungsversuche

Exotische Vogelarten hatten schon immer einen besonderen Reiz für den Menschen. So wurden bereits früh, auch privat, zoologische Sammlungen etabliert, und ein reger Zoohandel entstand. Dabei entkamen bis heute regelmässig Vögel in Freiheit. Da die heimische Fauna oft als weniger bunt wahrgenommenen wurde, kam es auch regelmässig zu gezielten Ansiedlungsversuchen von sogenanntem „Ziergeflügel“ im Freiland. Auch zu Jagdzwecken wurden gebietsfremde Arten ausgewildert, insbesondere Hühnervögel.

 

Bereicherung oder Gefahr?

Anfänglich werden solche Exoten oft als Bereicherung empfunden. Eine Mandarinente auf einem Parkgewässer oder an der Uferpromenade erregt durchaus Aufmerksamkeit, ebenso wie Papageien oder asiatische Fasanenarten. Gelingt es jedoch einer exotischen Vogelart im Freiland zu überleben und sich zu vermehren, ist eine entscheidende Grenze überschritten. Zwar verursachen längst nicht alle Arten Konflikte, die im Freiland brüten, doch oft werden unerwünschte Folgen erst nach Jahren erkennbar. Negative Auswirkungen können erst nach einer Wachstumsphase der Population und mit einer grossen zeitlichen Verzögerung nach Jahrzehnten festgestellt werden.

Gebietsfremde Vogelarten können mit heimischen Arten um Nahrung, Brutplätze und Lebensräume konkurrieren oder mit diesen hybridisieren. Inzwischen gibt es zahlreiche Beispiele, die zeigen, dass selbst vermeintlich konkurrenzschwache, kleine Vogelarten zum Problem für den Artenschutz werden können.

Prominentestes Beispiel in Europa ist die aus Nordamerika stammende Schwarzkopfruderente, die sich nach einer Ansiedlung in England weit in Europa ausbreitete. In Spanien kam sie dann mit der hochgradig bedrohten Weisskopfruderente in Berührung, deren Weibchen die Balz der Männchen der schwarzköpfigen Schwesterart allzu attraktiv fanden. Hybridisierung gefährdete die durch Lebensraumverluste ohnehin sehr selten gewordene Weisskopfruderente ernsthaft. Um die Weisskopfruderente zu erhalten, wurde ein europaweiter Aktionsplan zur Bekämpfung der Schwarzkopfruderente notwendig, dessen Entwicklung und Umsetzung Millionen von Euro kostet. Auch in der Schweiz hat das Bundesamt für Umwelt in Zusammenarbeit mit der Vogelwarte und BirdLife Schweiz einen solchen Aktionsplan verabschiedet. Inzwischen sind die europäischen Bestände der gebietsfremden Schwarzkopfruderente erheblich reduziert worden.

 

Gebietsfremde Vogelarten in der Schweiz

In der Schweiz haben bereits diverse gebietsfremde Vogelarten im Freiland gebrütet. Meist handelte es sich um Wasservögel, aber auch Papageien und gelegentlich exotische Singvogelarten sind darunter. Oft gelingt diesen Exoten der Schritt von einzelnen Bruten zur Etablierung nicht. Als etabliert gelten Arten, die mindestens drei Generationen eigenständig im Freiland überlebt haben. Dies ist in der Schweiz bei der Mandarinente, der Nilgans und der Rostgans bereits der Fall. Ohne Gegenmassnahmen könnten sich Weisswangen- und Kanadagans, Bahamaente, Halsbandsittich sowie Braunkopf-Papageimeise bald dauerhaft ansiedeln.

Gebietsfremde Arten werden nicht immer aus dem Ursprungsareal eingebracht, sie können auch aus dem grenznahen Ausland einwandern, in dem diese Arten bereits etabliert sind. So breitete sich die Nilgans aus den Niederlanden über grosse Teile West- und Mitteleuropas bis in die Schweiz aus. Von Vogelarten, die in Europa bereits etablierte Bestände aufweisen, sind auch kurze Gastbesuche möglich, die bislang nicht zu Bruten bei uns führten (z.B. Heiliger Ibis).

Die Entscheidung, ob eine Art gebietsfremd ist oder nicht, ist nicht immer einfach. So gibt es Arten, die in der Schweiz regelmässig als Zugvogel und Wintergast auftreten – also als heimisch gelten, von denen aber Brutpopulationen bei uns entstanden sind, die Grossteils von entwichenen Individuen abstammen oder aus gezielten Ansiedlungsversuchen. Beispiele hierfür sind Höckerschwan und Graugans oder die lokale Ansiedlung der Schellente bei Arosa GR. Im Sinne des JSV gelten diese Arten bei uns als heimisch. Auch bei gebietsfremden Arten wie der Rostgans ist das Auftreten von Gastvögeln aus einer Wildpopulationen nicht gänzlich auszuschliessen, wenn auch ausserhalb der Brutzeit.

 

Frühzeitiges Handeln

Die Bestände von Nil- und Rostgans sind seit der Etablierung stark angestiegen, und es wird auch offensichtlich, dass es zu Konflikten mit der heimischen Vogelwelt kommen kann. Von der Rostgans ist bekannt, dass sie Schleiereulen- und Turmfalkenbruten stören und diese Arten aus Nisthöhlen mit zu grosser Öffnung vertreiben kann. Auch die Nilgans gilt insbesondere während der ganzjährig möglichen Brutzeit als besonders dominant gegenüber anderen Vogelarten – mit bislang unklaren Folgen für deren Bestände. Nilgänse können in den wenigen verbliebenen, ungestörten Rückzugsräumen in Feuchtgebieten störungsempfindliche Arten zusätzlich beeinträchtigen.

Doch muss man mit dem Handeln stets abwarten bis eine Gefährdung evident ist? Ein frühzeitiges Unterbinden einer Ansiedlung würde die potenzielle Gefahr für die heimische Tierwelt rechtzeitig abwenden. Dies setzt jedoch für Ansiedlungen, die von der Schweiz aus entstehen, eine landesweite Koordination voraus. Im Falle von Arten, die über Nachbarländer zu uns gelangen, ist eine international einheitliche Strategie zur Bekämpfung unverzichtbar. Ohne international koordinierte Massnahmen – was derzeit leider die Regel ist – führt die Eindämmung solcher Arten bei uns nur zur kostspieligen Daueraufgabe.

 

Gebietsfremde Arten, die in der Schweiz im Freiland bereits gebrütet haben:

Art

Freilandbruten

Etabliert?

Bestand aktuell (Stand 2018)

Mandarinente

regelmässig

+

10–20 Familien (Paare 2550)

Kanadagans

Einzelbruten

-

01 Familie

Rostgans

ansteigend

+

1015 Familien (Paare 2050)

Fasan

rückläufig

+

4060 Paare

Nilgans

ansteigend

+

813 Familien (Paare 3060)

Schwarzschwan

Einzelbruten

-

0

Mönchssittich

Einzelbruten

-

0

Braunkopf-Papageimeise

Bruthinweise

?

>1

Streifengans

Einzelbruten

-

0

Moschusente

Einzelbrut

-

01

Halsbandsittich

Einzelbruten

-

01

Hirtenmaina

Grenznahe mögliche Einzelbrut

-

0

Bahamaente

Einzelbruten

-

12

Rotschulterente

Einzelbrut

-

0

Chilepfeifente

Einzelbrut

-

0

Graukopfkasarka

Einzelbruten

-

0 (Mischbrut mit Rostgans)

Indien-Fleckschnabelente

Einzelbrut

-

0 (Mischbrut mit Stockente)

Brautente

Einzelbruten

-

01

Palmtaube

Einzelner Bruthinweis

-

0 (verpaart mit Turteltaube)

Rotohrbülbül

Einzelbrut

-

0

Sonnenvogel

Einzelbrut

-

0

Weisswangengans

Einzelbruten

-

1

Chukarhuhn

?

-

0

 

Arten, die in der Schweiz als heimisch gelten, da sie auch als Wildvogel auftreten, deren Brutbestände aber auf menschliche Aktivtäten zurückzuführen sind.

Art

Freilandbruten

Etabliert?

Bestand aktuell

Graugans

Deutlich steigend

+

4560 F (50100 Paare)

Höckerschwan

Weit verbreitet, stabil

+

590720 Paare

Schellente

Sehr lokal, stabil

+

26 Paare (Arosa); als Wildvogel nicht mehr Brutvogel

 

 

Link zu den Arten

Projektleitung

Stefan Werner, Michael Schaad

Publikationen

Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz, Schweizerische Vogelwarte Sempach (2019):
Schwarzkopfruderente: Bedrohung für die europäische Weisskopfruderente.