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Ansiedlungsverhalten, Prädation und Bestandsfluktuationen beim Waldlaubsänger

Der Waldlaubsänger ist in der Schweiz und in weiten Teilen Europas gefährdet. Ein Forschungsprojekt der Schweizerischen Vogelwarte Sempach untersucht, welche Faktoren die starken Bestandsveränderungen beeinflussen.

Ziele

Seit den Neunzigerjahren entwickeln sich die Bestände des Waldlaubsängers (Phylloscopus sibilatrix) im europäischen Verbreitungsgebiet unterschiedlich: In Osteuropa schwanken die Waldlaubsänger-Populationen von Jahr zu Jahr stark, in Westeuropa hingegen sind die Bestände teilweise stark rückläufig. Über die Gründe für diese unterschiedlichen Bestandsentwicklungen herrscht Unklarheit.

Als mögliche Gründe für den Rückgang in Westeuropa werden primär eine Zunahme der Prädation und Veränderungen in der Waldstruktur diskutiert. Seit dem Rückgang bzw. der Ausrottung der Tollwut haben die Fuchsbestände stark zugenommen – auch im Wald. Der damit verbundene erhöhte Prädationsdruck könnte durchaus zu einer Abnahme des Bruterfolges dieser bodenbrütenden Art und folglich zu den beobachteten Populationsrückgängen geführt haben. Neuere Studien legen jedoch auch Veränderungen in der Waldstruktur aufgrund veränderter forstlicher Tätigkeit als einen weiteren möglichen Grund für die negativen Bestandstrends nahe. Inwiefern auch die zunehmenden Freizeitaktivitäten im Wald und die dadurch hervorgerufenen Störungen, Nahrungsengpässe aufgrund des Klimawandels sowie Habitatveränderungen in den Durchzugs- und Überwinterungsgebieten für die Bestandsabnahmen wichtig sind, wird kontrovers diskutiert.

Das Projekt befasst sich mit folgenden Aspekten.

1) Vertiefte Untersuchung des Ansiedlungsverhaltens des Waldlaubsängers. Insbesondere soll die Rolle ausgewählter „cues“ bei der Ansiedlung erforscht werden. Beispiele solcher cues sind die Anwesenheit von Mäusen und Prädatoren, die Anwesenheit von Artgenossen (social information), der eigene Bruterfolg im letzten Jahr (personal information), die Nahrungsverfügbarkeit, etc. Daneben wird auch der Einfluss von Habitatfaktoren mit berücksichtigt.

2) Ermittlung der räumlichen und zeitlichen Variation von Nest- und Bruterfolg. Aus Sicht des Artenschutzes ist es wichtig, die Faktoren zu kennen, die den Nest- und Bruterfolgs beeinflussen.

3) Untersuchung der Interaktionen zwischen Waldlaubsänger, Prädatoren und der Verfügbarkeit von Bucheckern und Eicheln. Studien aus Nordamerika legen nahe, dass Mastjahre (Jahre mit massenhafter Fruktifikation) einen erheblichen Einfluss auf die Nagerdichte im nächsten Frühjahr haben, welche wiederum einen Effekt auf deren Prädatoren ausübt. Die Prädatoren ihrerseits beeinflussen den Reproduktionserfolg bodenbrütender Vogelarten. Solche Interaktionen könnten auch in einheimischen Laubwäldern auftreten und einen Effekt auf den Waldlaubsängerbestand haben.

Vorgehen

Die Untersuchungen finden hauptsächlich in Wäldern des Mittellandes und des Juras statt. Darüber hinaus werden Teilaspekte in der Nähe von Marburg, Deutschland, und im Urwald von Białowieza, Polen, untersucht. Zentrale Elemente der Feldmethoden sind die Erfassung der Reviere und Paare, die Verwendung von Fotofallen für die Überwachung der Nester, die Ermittlung der Habitateigenschaften und der Nagerdichte (primär Apodemus- und Myodes-Arten). Details zu den einzelnen Methoden sind in den unter Publikationen aufgeführten Arbeiten zu finden.

Bedeutung

Der Waldlaubsänger wurde im Jahr 2010 neu in die Rote Liste der Brutvögel (Gefährdungs-kategorie „Verletzlich VU“) aufgenommen und gehört somit zu den gefährdeten Arten der Schweiz. Der Waldlaubsänger ist zudem eine von 50 Prioritätsarten des Programms „Artenförderung Vögel Schweiz“, das die Schweizerische Vogelwarte und der Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz mit Unterstützung des BAFU durchführen. Über die Gründe für die in weiten Teilen Westeuropas zu beobachtenden Bestandsabnahmen herrscht Unklarheit. Im Rahmen eines Artenförderungsprojekts wird versucht, den Lebensraum des Waldlaubsängers durch gezielte forstliche Eingriffe zu fördern.

Ergebnisse

Verschiedene Masterarbeiten und eine Doktorarbeit haben folgende Resultate ergeben:

1) Die Ansiedlung des Waldlaubsängers wird von Umweltfaktoren und der Präsenz von Artgenossen beeinflusst. Die Art siedelt bevorzugt in steilen Hanglagen, die von mittelalten Laubmischwäldern mit weitgehend geschlossenem Kronendach und einem lückigen Stammraum bestockt sind. Der Boden ist mässig mit grasartiger Vegetation bedeckt, worin die Weibchen ihre Nester bauen. Zudem werden Waldbereiche mit wenigen Mäusen bevorzugt. Über die Jahre variieren Populationen des Waldlaubsängers mit der Häufigkeit von Mäusen: in mausreichen Jahren finden sich wenige Waldlaubsänger ein, in mausarmen hingegen viele.

2) Daten aus der Schweiz, Deutschland und Polen zeigen, dass knapp die Hälfte aller Nester erfolgreich ist. Wichtigste Verlustursache von Nestern ist die Prädation, für die hauptsächlich Marder und Eichelhäher verantwortlich sind. Der Rotfuchs spielt als Nesträuber eine untergeordnete Rolle, Mäuse praktisch gar keine.

3) In mausreichen Jahren ist der Nesterfolg geringer als in Jahren mit weniger Mäusen. Dies scheint mit den Prädatoren von Mäusen zusammen zu hängen, denn in mausreichen Jahren gehen mehr Nestverluste auf das Konto von Säugern wie Mardern und Füchsen als in anderen Jahren. Nester sind zudem um so eher erfolgreich, je besser sie getarnt sind und je mehr Grasbüschel sich in Nestnähe befinden.

4) Aktuell besetzte Reviere liegen weiter vom Waldrand entfernt und in steileren Lagen als früher regelmässig besetzte, heute aber verwaiste Reviere. Zudem ist der Eintrag von Luft-Stickstoff im Boden in Gebieten, die über die letzten 20 Jahre vom Waldlaubsänger verlassen wurden, signifikant höher als dort, wo sich die Art halten bzw. neu ansiedeln konnte. Auch die Waldbewirtschaftung scheint teilweise zum Rückgang der Art beigetragen zu haben, denn heute noch besetzte Reviere weisen mehr Bäume auf und liegen weiter von forstlichen Eingriffen entfernt als verwaiste Reviere.

5) Bei einigen waldbewohnenden Vogelarten wurde gefunden, dass sie den aufgrund des Klimawandels immer früheren Höhepunkt der Raupenverfügbarkeit verpassen, weil sie ihren Brutbeginn nicht in gleichem Masse wie die Insekten vorverlegen können. Als Folge dieses Verfehlens der grössten Nahrungsverfügbarkeit können die Nestlinge zum Zeitpunkt ihres grössten Nahrungsbedarfs nicht ausreichend versorgt werden, wodurch sich der Bruterfolg dieser Vogelarten reduziert, was zum Rückgang von Populationen beitragen könnte. Beim Waldlaubsänger wurden aber bislang keine Hinweise für dieses als „food mismatch“ bekannte Phänomen gefunden. Es scheint, als könne der Waldlaubsänger seine Brut problemlos mit anderer Nahrung als Raupen hochziehen.

Projektleitung

Gilberto Pasinelli, Alex Grendelmeier

Partner

Raphael Arlettaz, Conservation Biology, Universität Bern
Nica Huber, Waldökologie, ETH Zürich
Christian Ginzler und Felix Kienast, Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL
Tomasz Wesołowski und Marta Maziarz, Laboratory of Forest Biology, Wroclaw University
Dana Schabo und Nina Farwig, Conservation Ecology, Universität Marburg

Donatoren

Hilfsfonds für die Schweizerische Vogelwarte Sempach
Styner-Stiftung
Stotzer-Kästli-Stiftung
Lotteriefonds des Kantons Solothurn
Schweizerischer Nationalfonds
PD Stiftung der Universität Zürich
Basler Stiftung für biologische Forschung
Emilia Guggenheim-Schnurr-Stiftung
Carl Burger-Stiftung Münchenstein

Publikationen

Grendelmeier, A. (2017):
Leben in einer unvorhersehbaren Umwelt.
Grendelmeier, A., R. Arlettaz, J. Olano-Marin & G. Pasinelli (2017):
Experimentally provided conspecific cues boost bird territory density but not breeding performance.
Pasinelli, G., A. Grendelmeier, M. Gerber & R. Arlettaz (2016):
Rodent-avoidance, topography and forest structure shape territory selection of a forest bird.
Hobson, K.A., S. L. Van Wilgenburg, T. Wesolowski, M. Maziarz, R.G. Bijlsma, A. Grendelmeier & J.W. Mallord (2014):
A multi-isotope (δ2H, δ13C, δ15N) approach to establishing migratory connectivity in Palearctic-Afrotropical migrants: An example using Wood Warblers Phylloscopus sibilatrix.
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