© Serge Denis
Ausbreitungsökologie alpiner Steinadler
Die Schweizerische Vogelwarte Sempach untersucht in Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell und der Konrad Lorenz Forschungsstelle der Universität Wien, wie sich junge, noch nicht verpaarte Steinadler in der von Adlern dicht besiedelten Alpenlandschaft bewegen und wie sie es schaffen, zu überleben.
Ziele
Der Steinadler hat sich dank Schutzbestimmungen vom einstigen Aderlass durch direkte Verfolgung gut erholt. Fast jedes geeignete Habitat im Schweizer Alpenraum ist heute von einem Revierpaar besetzt. Im internationalen Vergleich ist die Revierdichte hierzulande überdurchschnittlich hoch und der damit einhergehende hohe Konkurrenzdruck sorgt für eine natürliche Regulation. Typisch für dieses dichteabhängige Populationswachstum sind eine geringe Nachwuchsrate und eine hohe Mortalität aufgrund von territorialen Auseinandersetzungen, die nicht selten tödlich enden.
Im Kanton Graubünden existiert seit 2002 ein intensives Steinadlermonitoring, in dem Paarbestände, Bruten und Revierentwicklungen detailliert erfasst werden. Über das Ausbreitungsverhalten junger Steinadler gibt es jedoch grosse Wissenslücken. Jungadler durchlaufen während ihrer Entwicklung zum Adulttier mehrere Stadien, in denen sie ihre Lebensweise drastisch ändern. Spätestens zum Zeitpunkt, an dem ein Revierpaar im März mit Brüten beginnt, müssen Jungtiere des Vorjahrs das elterliche Revier endgültig verlassen. Fortan sind sie auf sich allein gestellt und durchstreifen den Alpenraum. Erst ab dem vierten bis sechsten Lebensjahr suchen sie sich einen Partner und versuchen ein eigenes Revier zu besetzen. Was sie bis dahin genau tun und wo sie sich aufhalten, blieb bisher weitgehend ungeklärt.
In diesem Projekt wird die Bewegungs- und Verhaltensentwicklung der Jungadler vom Nest bis zum Auszug aus dem elterlichen Revier, und anschliessend in den Wanderjahren bis zur eigenen Revierbildung, untersucht. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem genauen Bewegungsverhalten in Raum und Zeit und den darauf einwirkenden Faktoren in den verschiedenen Abwanderungsphasen. Ein zweiter Schwerpunkt beinhaltet die ontogenetische Entwicklung von Verhalten, wie Jagen und Gleitflug, die sukzessive erlernt werden müssen.
Im Rahmen der Dissertation von Julia Hatzl sollen folgende Fragen untersucht werden:
- Wie verändert sich das individuelle Bewegungs- und Ernährungsverhalten und das Aktivitätsmuster im Laufe der Entwicklung junger Steinadler?
- Welche Faktoren charakterisieren Einzeladlergebiete, in denen sich Jungadler bevorzugt aufhalten und wie unterscheiden diese sich von Brutpaar-Revieren?
- Wie unterscheidet sich das Verhalten zwischen stationären und mobilen Phasen im immaturen Lebensabschnitt von Steinadlern?
- Wie beeinflussen Interaktionen mit etablierten Brutvögeln und unverpaarten Jungvögeln das Raumnutzungsverhalten von jungen Steinadlern?
- Wie beeinflusst die Qualität des Heimatreviers die Entwicklung dieser Bewegungs- und Verhaltensmuster?
Vorgehen
Um diese Fragen zu beantworten, wurden insgesamt 35 Jungadler im Kanton Graubünden mit hochauflösenden Datenloggern ausgestattet. In angrenzenden Ländern (Deutschland, Italien, Österreich) wurden zudem in Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und der Konrad Lorenz Forschungsstelle der Universität Wien weitere Jungadler mit Datenloggern versehen. Die Logger übertragen GPS-Ortungen und Beschleunigungsdaten, die Aufschluss über die Bewegungsmuster und das Verhalten der Jungadler zulassen. Die Logger sind solarbetrieben und können Daten über die gesamte Lebenszeit der Adler hinweg direkt in eine Datenbank übertragen. Verhaltensänderungen, Bewegungsmuster und Mortalitätsereignisse können damit zeitnah verfolgt und analysiert werden.
Zusätzlich zu den automatisch erfassten Daten werden die besenderten Vögel intensiv im Feld beobachtet und durch standardisierte Zählungen von Reviervögeln und unverpaarten Jungadlern ergänzt. Diese Verhaltensbeobachtungen dienen der Validierung von Datenmustern und lassen Einblick in den vorherrschenden intraspezifischen Konkurrenzdruck zu.
Bedeutung
Durch die Bindung des Steinadlers an alpine Lebensräume kommt der Schweiz in Europa eine besondere Verantwortung für den Schutz und Erhalt der Art zu. Der Steinadler zählt bis heute zu den Arten mit hoher nationaler Priorität, und sein Bestand wird in der Roten Liste der Schweiz als verletzlich eingestuft. Der Steinadler gilt als Indikator für naturnahe alpine Grossräume. Das Verständnis seiner Lebensweise und Populationsdynamik in einer sich wandelnden Alpenlandschaft ist daher über die Art hinaus von Bedeutung.
Projektleitung
Martin Grüebler, Matthias Tschumi, David Jenny
Partner
Max-Planck-Institut für Ornithologie, Radolfzell (Kamran Safi, Martin Wikelski)
Konrad Lorenz Forschungsstelle, Universität Wien (Petra Sumasgutner)
Stelvio Nationalpark (Enrico Bassi)
Publikationen
The early life of juvenile golden eagles (Aquila Chrysaetos): Sex and activity drive fledging time and pre-dispersal exploratory behaviour.