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Hintergrund

Die Schweizerische Vogelwarte Sempach und der Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz haben 2003 ein Mehrjahresprogramm zur Förderung gefährdeter Arten in der Schweiz gestartet. Dieses Programm "Artenförderung Vögel Schweiz" wird in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Umwelt BAFU durchgeführt. Die Vogelwarte und der SVS/BirdLife Schweiz haben jene 50 Vogelarten identifiziert, welche Artenförderungsprogramme dringend benötigen (sogenannte Prioritätsarten Artenförderung; Keller et al. 2010) und aufgezeigt, welche Faktoren die Bestände gefährden und mit welchen Massnahmen sie gefördert werden können (Spaar et al. 2012). Das Ziel des Programms ist es, diese Arten in überlebensfähigen Populationen in der Schweiz zu erhalten. Seit dem Start des Programms konnten zahlreiche Artenförderungsprojekte lanciert werden. Für sechs Arten wurden nationale Aktionspläne erarbeitet. Sie sollen in den kommenden Jahren umgesetzt werden. Dazu braucht es eine enge Zusammenarbeit verschiedenster Kreise.

Grundsätze der "Artenförderung Vögel Schweiz"

Das Ziel aller Naturschutzbemühungen in der Schweiz ist die Erhaltung der Artenvielfalt. Dafür stehen verschiedene Naturschutzinstrumente zur Verfügung, die drei Ebenen betreffen:

  1. Habitate (Lebensräume): Grundsätzlich sollte die ganze Landschaft Lebensraum für Wildpflanzen und -tiere sein. Der ökologische Ausgleich in der Landwirtschaft und der naturnahe Waldbau sind Beispiele dieses Naturschutzes auf der ganzen Fläche.
  2. Gebiete: Der Naturschutz auf der ganzen Fläche reicht zur Erhaltung verschiedener Arten nicht aus. Diese brauchen zusätzliche Vorranggebiete wie Naturschutzgebiete, Waldreservate oder Ruhezonen. Einige dieser Gebiete werden der natürlichen Entwicklung überlassen (z.B. Naturwaldreservate), andere werden gezielt gepflegt, um ihre Qualität als Lebensraum für bedrohte Arten zu erhalten.
  3. Arten: Für 50 Vogelarten genügen die zwei erwähnten Instrumente nicht. Sie benötigen ergänzend spezifische Artenförderungsprogramme. Das Programm "Artenförderung Vögel Schweiz" bezieht sich auf diese 50 Arten und wird auf zwei Ebenen umgesetzt:

Artenförderung schweizweit:

Die schweizweite Förderung von Prioritätsarten wird von der Schweizerischen Vogelwarte und vom SVS/BirdLife Schweiz hauptsächlich durch Motivation, Beratung und Information von Akteuren umgesetzt. Dafür werden Umsetzungshilfen wie Aktionspläne und Merkblätter bereitgestellt sowie Kurse angeboten. Im Weiteren werden Umsetzungsprojekte Dritter (v.a. Kantone) durch die Koordinationsstelle und mit ihr zusammenarbeitenden Artspezialisten initiiert und gefördert. Erfolgskontrollen werden fall- bzw. artweise in Zusammenarbeit mit geeigneten Fachkräften organisiert. Förderungsprojekte für Arten, welche nur noch in einzelnen oder wenigen Regionen vorkommen, können eine nationale Bedeutung haben (z.B. Zwergohreule oder Kiebitz). In der Strategie Artenförderung Vögel Schweiz 2016–2020 wurden fünf Ziele und Umsetzungsstrategien für die schweizweite Förderung von Prioritätsarten formuliert.

Exemplarische Förderungs- und Forschungsprojekte:

In regionalen Projekten werden modellhaft die Möglichkeiten und Grenzen von Artenförderungsmassnahmen gezeigt. Damit sollen Akteure in weiteren Gebieten zur Nachahmung angeregt werden. Solche Projekte laufen  für den Gartenrotschwanz, die Heidelerche, den Flussregenpfeifer, das Haselhuhn und den Ziegenmelker. Für diverse Arten müssen Forschungsprojekte zunächst wichtige Wissenslücken schliessen, bevor Artenförderungsprojekte gestartet werden können. In der Strategie Artenförderung Vögel Schweiz 2016–2020 wurden drei Ziele und Umsetzungsstrategien für die exemplarische Förderung von Prioritätsarten formuliert.

Koordination "Artenförderung Vögel Schweiz"

Die Erarbeitung, Umsetzung und Erfolgskontrolle der Artenförderungsprogramme und Aktionspläne erfolgt durch verschiedene damit betraute Institutionen unter Einbezug von Fachstellen und Artexperten. Um die grosse und komplexe Arbeit zu bewältigen, werden die Akteure durch eine Koordinationsstelle unterstützt, welche je hälftig beim SVS/BirdLife Schweiz und der Vogelwarte angesiedelt ist. Das Rahmenprogramm wird durch eine Steuerungsgruppe geleitet, in der das Bundesamt für Umwelt BAFU, die Schweizerische Vogelwarte der SVS/BirdLife Schweiz und je ein Vertreter der kantonalen Fachstellen für Jagd und Schutz der Vögel sowie Naturschutz Einsitz haben. Zum Erfahrungsaustausch und zur Weiterentwicklung des Programms finden regelmässige Treffen statt.

Dies sind die Koordinatoren der "Artenförderung Vögel Schweiz": Dr. Reto Spaar vertritt die Schweizerische Vogelwarte Sempach, Dr. Raffael Ayé den SVS/BirdLife Schweiz.

Die Prioritätsarten Artenförderung

Vogelwarte und SVS/BirdLife Schweiz haben in einem mehrstufigen Evaluationsverfahren 50 Arten identifiziert, welche Artenförderungsprogramme benötigen. Für wirkungsvolle Umsetzungsmassnahmen zugunsten von Prioritätsarten müssen die Schlüsselfaktoren und Gefährdungsursachen bekannt sein. Je nach Kenntnisstand der Problemkreise setzen die Artenförderungsprogramme bei der Forschung oder Umsetzung an. Beim Waldlaubsänger zum Beispiel können die Gründe für dessen starken Rückgang nur vermutet werden, denn es sind keine drastischen Habitatveränderungen als Ursache erkennbar. Die starken Einbussen in siedlungsnahen Wäldern deuten darauf hin, dass diese bodenbrütende Waldvogelart Probleme mit der intensiven Freizeitnutzung und der hohen Dichte an Haustieren (Hunde, Katzen) und Füchsen hat. Waldbauliche Veränderungen können ebenfalls eine Rolle spielen.

Zudem sind wahrscheinlich negative Einflüsse ausserhalb der Brutsaison (Zug-, Überwinterungsgebiete) wirksam. Bei solchen Arten geht es vorerst darum, die Schlüsselfaktoren und Mechanismen der Gefährdung näher abzuklären – auch wenn dies vielfach eine äusserst schwierige Aufgabe ohne Erfolgsgarantie ist. Für einige Arten wie beispielsweise das Auerhuhn sind die ökologischen Zusammenhänge aber soweit bekannt, dass Massnahmen zur Förderung umgesetzt werden können.

Mit breiter Unterstützung an die Arbeit

Die Förderung gefährdeter Vogelarten in der Schweiz hat schon einige erfolgreiche Jahre hinter sich und wird von vielen Kreisen aktiv unterstützt. Trotzdem dürfen keine falschen Hoffnungen geweckt werden. Einzelne Arten können möglicherweise nicht mehr vor dem völligen Verschwinden gerettet werden. Artenförderungsprogramme können nicht für alle 50 Prioritätsarten auf einmal erarbeitet und umgesetzt werden. Als Entscheidungshilfe für ein gestaffeltes Vorgehen dient eine Beurteilung der Dringlichkeit und Erfolgschancen von Förderungsmassnahmen für die verschiedenen Arten.

Reto Spaar und Raffael Ayé
Nationale Koordinationsstelle "Artenförderung Vögel Schweiz"

Literatur

 
Spaar, R., R. Ayé, U. N. Zbinden & U. Rehsteiner (2012):
 
Keller, V., R. Ayé, W. Müller, R. Spaar & N. Zbinden (2010):
Die prioritären Vogelarten der Schweiz: Revision 2010. Ornithol. Beob. 107: 265–285.