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Auerhuhn und Störungen

Wie anfällig ist das bedrohte Auerhuhn auf menschliche Störungen?

Ziele

Die Auerhuhnpopulationen in Mitteleuropa zeigten in den letzten Jahrzehnten einen markanten Rückgang. Als Hauptursachen dafür gelten neben der Verminderung der Lebensraumqualität auch zunehmend Störungen, die durch Freizeitaktivitäten hervorgerufen werden. Bisher fehlten aber wissenschaftliche Daten, die zeigten, welche Auswirkungen Freizeitaktivitäten auf das Auerhuhn haben können.

Ziel dieser Studie war daher zu untersuchen, ob Auerhühner durch Aktivitäten des Wintertourismus physiologisch gestresst werden, respektive ob der Stresshormonlevel von Corticosteron bei Auerhühnern mit zunehmender Intensität des Wintertourismus steigt. Diese Untersuchung konnte dank einer neuen, nicht-invasiven Methode durchgeführt werden. Statt der üblichen Analyse im Blut, wurden die Abbauprodukte des Hormons im Kot der Tiere gemessen. Neben den physiologischen Reaktionen wurden auch die verhaltensbiologischen Reaktionen von Auerhühnern untersucht. Die Resultate dieser Studie dienen als Grundlage, um praxisorientierte Aussagen zum Management und zur Nutzungsoptimierung von menschlichen Aktivitäten in Auerhuhn-Lebensräumen zu formulieren.

Vorgehen

Die Untersuchungen umfassten Feldforschung und Laborarbeit:

a) Erarbeiten der Analyse, um Corticosteron-Metaboliten (Abbauproduktes des Stresshormons) im Auerhuhnkot bestimmen zu können, und Testen deren Empfindlichkeit auf verschiedene Aussentemperaturen und Lagerungszeit.

b) Analyse des Corticosteron-Metaboliten-Gehalts im Auerhuhnkot aus rund 60 Schweizer und Schwarzwälder Populationen in Abhängigkeit der Wintertourismus-Intensität.

c) Raumnutzung besenderter Auerhühner im Schwarzwald vor und während der Ski-Saison und in Abhängigkeit der Wintertourismus-Intensität.

d) Analyse von Fluchtdistanzen in Gebieten mit unterschiedlichen Intensitäten von Jagddruck und Wintertourismus im Schwarzwald und in den französischen Pyrenäen, um mögliche Gewöhnungseffekte zu eruieren.

e) Analyse von Auerhuhn-Schlafplätzen aus den Alpen, dem Jura, dem Schwarzwald und dem Thüringer Wald, um mögliche Präferenzen und ihre dafür verantwortlichen ökologischen Ursachen zu bestimmen.

Ergebnisse

Die Corticosteron-Metaboliten im Auerhuhnkot sind zuverlässig messbar, und unter winterlichen Umweltbedingungen stabil. Auerhähne und Hennen in Gebieten mit intensiver touristischer Nutzung weisen höhere Stresshormonlevels auf, als jene in ungestörten Gebieten. Vor Beginn der Ski-Saison nutzen die Auerhühner das Gebiet unabhängig von den wenigen touristischen Aktivitäten. Während der Ski-Saison bevorzugen Auerhühner störungsarme Waldflächen innerhalb ihrer Aufenthaltsgebiete (home ranges). Touristisch intensiv genutzte Flächen werden entweder gemieden, oder an Schlechtwettertagen mit wenig Touristen genutzt.

Die Fluchtdistanzen von Auerhühnern sind in Gebieten mit starker touristischer Nutzung und in offenen Wäldern höher, als in tourismusarmen oder dichten Wäldern. In allen untersuchten Populationen bevorzugen Auerhühner als Schlafplätze Buchen und Kiefern in lichten Waldbeständen, und meiden Fichten. Wir vermuten, dass die Früherkennung von Feinden und die Flucht vor diesen die Schlafplatzwahl beeinflusst, und nicht der Schutz vor Witterung.

Diese Resultate zeigen, dass Auerhühner tatsächlich störungsempfindlich sind. Die beobachteten Änderungen in der Raumnutzung, in der Verhaltensreaktion und in der physiologischen Stressantwort auf menschliche Freizeitaktivitäten im Winter haben das Potential, negative Folgen auf den Energiehaushalt und die Fitness der Auerhühner zu besitzen. Diese Fitnesskosten sind im Winter besonders hoch, weil die Energieaufnahme aufgrund der nährstoffarmen Nahrung (Koniferennadeln) stark limitiert ist.

Praxisempfehlung

Wir empfehlen die Schaffung von störungsfreien und zugleich qualitativ hochstehenden Waldflächen in Auerhuhngebieten (Wildruhezonen), wo Auerhuhnvorkommen nahe oder in Wintersportgebieten liegen. Ein Wegegebot in Auerhuhn-Kerngebieten würde die für das Auerhuhn nutzbare und störungsfreie Waldfläche vergrössern. Durch diese Massnahmen würde das Konfliktpotential zwischen Mensch und Auerhuhn reduziert.

Projektleitung

Diese Studie wurde als Dissertation von Dominik Thiel durchgeführt, und durch Lukas Jenni und Susi Jenni-Eiermann betreut.

Partner

Dank der engen Zusammenarbeit mit mehreren Forschungsgruppen lassen sich Synergien nutzen, und sie erlaubt ein interdisziplinäres Erarbeiten eines Gesamtbildes zugunsten des stark gefährdeten Auerhuhns.

Prof. Dr. Peter Berthold, Max-Planck-Institut für Ornithologie
Dr. Rudi Suchant, Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg FVA
Prof. Dr. Rupert Palme und Prof. Dr. Erich Möstl, Veterinärmedizinische Universität Wien
EU Life Nature-Cooperation Project, Grouse and Tourism in NATURA 2000-areas
Dr. Emmanuel Ménoni, Office National de la Chasse et de la Faune sauvage ONCF, France

Donatoren

Janggen-Pöhn-Stiftung
Lotteriefonds des Kantons Schwyz
Bundesamt für Umwelt BAFU
Internationaler Rat zur Erhaltung des Wildes und der Jagd CIC

Publikationen

Thiel, D., S. Jenni-Eiermann, R. Palme & L. Jenni (2011):
Winter tourism increases stress hormone levels in the Capercaillie Tetrao urogallus.
Jenni-Eiermann, S. & R. Arlettaz (2008):
Does Ski Tourism Affect Alpine Bird Fauna?
Arlettaz, R., P. Patthey, M. Baltic, T. Leu, M. Schaub, R. Palme & S. Jenni-Eiermann (2007):
Spreading free-riding snow sports represent a novel serious threat for wildlife.
Thiel, D., E. Ménoni, J.-F. Brenot & L. Jenni (2007):
Effects of recreation and hunting on flushing distance of capercaillie.
Baltic, M., S. Jenni-Eiermann, R. Arlettaz & R. Palme (2005):
A noninvasive technique to evaluate human-generated stress in the Black Grouse.