Viele Brutvögel steigen in die Höhe
Zwischen 1993–1996 und 2013–2016 hat sich die durchschnittliche Höhenverbreitung unserer Brutvögel um 24 m erhöht. Diese Veränderung entlang des Höhengradienten ist eine Reaktion der Vogelwelt auf die aktuellen Umweltveränderungen, speziell auf die Klimaerwärmung.
Die Klimaerwärmung betrifft in Europa vor allem den Mittelmeerraum und die Alpen. Die damit verbundenen Umweltveränderungen wirken sich bereits heute direkt oder indirekt auf die Vögel aus und werden dies auch zukünftig tun. Erste Prognosen zeigen, dass sich die Areale der Vögel deshalb nach Norden oder in grössere Höhen verschieben werden. Neben den Vögeln sind auch andere Gruppen betroffen (z.B. Pflanzen, Schmetterlinge).
Zwei Drittel der häufigen Vogelarten stossen nach oben vor
Die Brutvögel der Schweiz verteilen sich über einen Höhengradienten von über 3000 m. Ob sich ihre Höhenverbreitung verändert hat, lässt sich anhand der Atlasdaten für 71 häufigere Arten beurteilen, für die Dichteänderungskarten zwischen 1993–1996 und 2013–2016 vorliegen; von diesen leben 40 Arten im Wald.
Der Schwerpunkt der Verbreitung (durchschnittliche Höhenverbreitung) dieser 71 Arten hat sich in den letzten 20 Jahren um 24 m nach oben verschoben. Die Unterschiede sind indes von Art zu Art gross: So hat die Nebelkrähe 166 Höhenmeter verloren, der Fitis dagegen 205 m gewonnen. Bei fast zwei Drittel der Arten ist die durchschnittliche Höhenverbreitung zwischen den beiden Atlasperioden gestiegen. Die Unterschiede zwischen Höhenverlusten und -gewinnen zeigen sich vor allem bei den Veränderungen von über 50 m: Nur 4 Arten haben sich mindestens so stark nach unten verschoben, dagegen stiessen 22 Arten in grössere Höhen vor.
Verluste in Tieflagen und Gewinne in der Höhe
Von den insgesamt 47 Arten mit einem Höhenanstieg zeigen 20 ein ähnliches Muster: Ihre Bestände gehen im unteren Bereich der Verbreitung zurück und legen am oberen Verbreitungsrand zu, unabhängig von ihren ökologischen Ansprüchen und ihrer durchschnittlichen Höhenverbreitung. Bei den restlichen 27 Arten liegt entweder nur eine Bestandszunahme in den höheren Stufen oder nur eine Abnahme in den tieferen Zonen vor. Einzig bei 4 Arten sind Bestandsverluste in der Höhe und Gewinne in den Tieflagen zu verzeichnen.
Arten mit hohen Verbreitungsschwerpunkten weisen zwischen den beiden Atlasperioden tendenziell einen besonders starken Höhenanstieg auf. Die 10 am höchsten verbreiteten Arten der Jahre 1993–1996 stiegen um durchschnittlich 51 m; dagegen haben die 10 Arten mit den tiefsten Verbreitungsschwerpunkten innerhalb von 20 Jahren 8 m verloren. Zusätzlich zu den in dieser Analyse berücksichtigten Vogelarten sind Birkhuhn und Alpenschneehuhn ebenfalls in die Höhe gestiegen.
Schliesslich gibt es auch bei jenen 10 Arten, die entweder auf der Roten Liste der gefährdeten Brutvogelarten stehen oder in der Kategorie «potenziell gefährdet» (NT) klassiert sind, mit einem Plus von 84 m einen starken Höhenanstieg. Bei ihnen dürfte dies weniger auf eine tatsächliche Ausbreitung in höhere Lagen als auf Bestandsverluste in den tieferen Lagen zurückzuführen sein (z.B. Gartenrotschwanz, Gartengrasmücke). Im Gegensatz dazu hat sich der Verbreitungsschwerpunkt bei Arten mit zunehmenden Beständen (z.B. Amsel, Ringeltaube) kaum verändert oder sogar etwas gesenkt.
Entwicklungen mit unterschiedlichen Ursachen
Es bestehen kaum Zweifel daran, dass die Klimaerwärmung das Höhersteigen unserer Brutvögel beeinflusst. Da die Klimaerwärmung in den Alpen doppelt so stark ist wie in den Tallagen, könnte dies auch den im Vergleich mit den Tieflandarten überdurchschnittlichen Höhenanstieg bei den Gebirgsvögeln erklären.
Auch andere Faktoren kommen in Betracht, deren Auswirkungen ebenfalls noch genauer zu analysieren sind. Zu den wichtigsten gehören die menschlichen Aktivitäten, vor allem die Intensivierung der Landwirtschaft und die Ausdehnung der Siedlungsfläche. Beides ist im Mittelland und in den Tallagen deutlich ausgeprägter als im Gebirge. Die Vogelarten mit Bestandseinbussen in der Schweiz bewohnen meist tiefere Lagen und sind deshalb den menschlichen Einflüssen besonders ausgesetzt. Dass einige von ihnen den Anschein erwecken, in höhere Lagen aufzusteigen (z.B. Feldlerche), liegt am starken Bestandseinbruch im unteren Verbreitungsbereich. Auch die Entwicklung der Berglandwirtschaft wirkt sich auf die Verteilung der Brutvögel aus. Neben einer zunehmenden Intensivierung ist hier auch die Bewirtschaftungsaufgabe von Grenzertragsflächen zu erwähnen. Jede Brutvogelart ist aber separat zu betrachten, ebenso wie die Auswirkungen der verschiedenen Einflussfaktoren.
Wie sieht die Zukunft unserer Bergvögel aus?
Das Höhersteigen einiger Arten sowie die konstanten oder sogar zunehmenden Bestände anderer Arten in den Alpen deuten darauf hin, dass dieses Gebirge in Zukunft – mit noch stärkeren Umweltveränderungen – als Rückzugsgebiet dienen könnte. Dieser Aspekt müsste bei der Planung grossräumiger Schutzprogramme besonders berücksichtigt werden, ebenso bei touristischen oder landwirtschaftlichen Entwicklungsprojekten im Alpenraum.
Erst seit relativ kurzer Zeit hat sich die Forschung mit der Entwicklung der Höhenverbreitung von Arten auseinandergesetzt. In diesem Bereich sollten weitergehende Untersuchungen gemacht werden. Die aktuellen Tendenzen zeigen eine wenig erfreuliche Bilanz für die Vogelwelt. Einerseits dürften sich menschliche Aktivitäten wie intensive Landwirtschaft, Freizeitaktivitäten sowie Bau von Strassen und touristischer Infrastruktur auf mindestens demselben Niveau fortsetzen. Andererseits wird die Fläche geeigneter Lebensräume bei Arten wie dem Alpenschneehuhn bei einem weiteren Höhenanstieg zwangsläufig schrumpfen. Schliesslich reagieren die Lebensräume auf die Klimaerwärmung mit einer gewissen Verzögerung, insbesondere Wälder. Wie sich diese ökologischen Ungleichgewichte auf die Bewohner dieser Lebensräume allerdings auswirken, ist kaum vorherzusagen. Den Alpen kommt daher beim Schutz eine zentrale Rolle zu, einerseits wegen ihrer reichhaltigen, aber bedrohten Biodiversität, andererseits wegen der Rückzugsfunktion, die sie in Zukunft erfüllen sollen.
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