FILTERN

Filtern nach
©
© Schweizerische Vogelwarte

Geolokatoren sind weniger als 1 Gramm schwer und sehr klein. Mit ihnen können die Zugwege und das Zugverhalten kleiner Vögel untersucht werden.

News - Hintergrund

Zu neuen Horizonten in der Vogelzugforschung

April 2022

Im Jahr 2008 wurde in der Vogelzugforschung ein neues Kapitel aufgeschlagen: Zum ersten Mal wurden in der Schweiz Geolokatoren eingesetzt. Dank dieser Forschung konnten viele neue faszinierende Einsichten in das Zugverhalten kleinerer Vögel gewonnen werden.

Dank GPS-Sendern können die Bewegungen grosser Vögel wie Adler oder Störche rund um die Uhr aufgezeichnet werden. Das Senden von GPS-Positionen benötigt aber viel Energie, und eine entsprechende Batterie mit genügend Strom für ein ganzes Jahr wäre zu gross und schwer für kleine Vögel. Daher nahm sich die Schweizerische Vogelwarte als eine der ersten Institutionen weltweit, in Zusammenarbeit mit der Berner Fachhochschule in Burgdorf, vor 15 Jahren der Weiterentwicklung von Geolokatoren für die Anwendung in der Vogelzugforschung an. Anfangs waren Geolokatoren ausschliesslich dazu konzipiert, die Stärke des Tageslichts zusammen mit einem Zeitstempel in einem bestimmten Intervall aufzuzeichnen und zu speichern. Daraus kann die Tageslänge und die Mittagszeit ermittelt werden und mit einer mathematischen Formel der ungefähre Längenund Breitengrad am Standort des Vogels errechnet werden. Im Gegensatz zu GPS speichern solche Geolokatoren die Daten ohne sie zu senden und benötigen daher nur eine kleine, leichte Batterie. Vorausgesetzt, die beloggerten Vögel lassen sich nach ihrer Reise am Brutort wieder fangen, erlaubt die Technik somit das Aufzeichnen von Zugwegen kleiner Vögel bis zur Grösse eines Braunkehlchens.

Schnell wurden Fortschritte in der Technologie erzielt, welche die Einsatzmöglichkeiten von Geolokatoren und das Wissen über den Vogelzug revolutionierten. Weiterentwickelte Geolokatoren, sogenannte Multisensor- Geolokatoren, können neben dem Licht mittlerweile auch den atmosphärischen Druck, die Beschleunigung und die Temperatur messen und ermöglichen so zusätzlichen Einblicke in das Leben der Vögel über den gesamten Jahreszyklus. Das neuste Modell, der sogenannte μ Tag, misst zwar nur das Licht und die Zeit, die Daten können aber aus der Ferne über eine UKW-Antenne ausgelesen werden. Der μ Tag lässt sich mit einem Solarpanel kombinieren und kann theoretisch jahrelang Daten liefern, ohne dass der Vogel zwischenzeitlich eingefangen werden muss.

Neue und überraschende Einblicke in den Vogelzug

Geolokatoren sind so zu einem unersetzlichen Werkzeug geworden, um von kleinen Vögeln (<100 g Körpergewicht) Flugmuster, Verbreitung, Verhalten und Interaktionen mit der Umwelt während des Zugs und im Winter zu beschreiben. Für viele Vogelarten eröffnete sich erst mit diesem Werkzeug eine Möglichkeit, etwas über ihre Lebensweise ausserhalb ihrer Brutgebiete zu erfahren.

Beispielsweise gab es vor den Untersuchungen mit Geolokatoren vom Wiedehopf nur einen einzigen Ringfund aus Afrika südlich der Sahara, und über die Zugrouten war kaum etwas bekannt. Dank Geolokatoren wissen wir nun für verschiedene Wiedehopf-Populationen aus ganz Europa, wo ihre jeweiligen Überwinterungsgebiete liegen und wie stark diese Gebiete sich zwischen den Populationen überlappen. Überraschenderweise zeigte sich auch, dass Wiedehopfe, anders als bisher angenommen, hauptsächlich nachts zogen: Rund 90 % aller Flüge der untersuchten Individuen fanden in der Dunkelheit statt. Regelmässig traten aber auch kürzere Flüge tagsüber auf, woraus vermutlich die bisherige Lehrmeinung entstand, der Wiedehopf sei ein Tagzieher.

Untersuchungen am Brachpieper ermöglichten erste Einblicke, wie Zugvögel ihre Zeit während des Zuges zwischen Fliegen und Rasten aufteilen: Das Verhältnis beträgt etwa 1 zu 7. Das bedeutet, dass Zugvögel für jede Flugstunde etwa 7 Stunden zum Ausruhen und Fressen brauchen, um ihre Energiereserven für den nächsten Flug wieder aufzufüllen.

Marathonflüge – Dauerflüge – Höhenflüge

Der Einsatz von Geolokatoren hat auch unser Wissen darüber revolutioniert, wie Langstreckenzieher ökologische Barrieren überqueren. Besonders das Mittelmeer und die Sahara bieten weder Nahrung noch Rastmöglichkeiten. Bis anhin war die Annahme, dass die meisten Singvögel die rund 2000 km breite Sahara in Etappen, nachts ziehend und tagsüber rastend, durchqueren. Die Daten zu Licht, Luftdruck und Beschleunigung von mit Multisensor-Geolokatoren ausgerüsteten Vögeln wiesen aber ein anderes Muster auf: Die Vögel verlängerten regelmässig ihre Nachtflüge bis weit in den Tag hinein und schafften die Wüstenquerung in einigen Fällen sogar in einem Mal. Ein Drosselrohrsänger aus dem russischen Kaliningrad unternahm einen solchen Marathonflug und flog in 44 Stunden nonstop über die Sahara. Von den Drucksensoren des Geolokators wissen wir zudem, dass Drosselrohrsänger während ihrer Flüge tagsüber teilweise in unglaubliche Flughöhen von bis zu 6000 m ü. M. aufsteigen. Wahrscheinlich tun sie dies, um die günstigen Windverhältnisse in der oberen Troposphäre zu nutzen und/oder um der Tageshitze der Wüste zu entkommen.

Keine Vogelgruppe vollführt aber eindrücklichere Marathonflüge als die Segler. Der Einsatz von Geolokatoren an Alpenseglern in einer Aargauer Brutkolonie in Baden erbrachte den ersten eindeutigen Beweis: Während der gesamten Zeitdauer von sechs Monaten auf dem Zug und im Überwinterungsgebiet hielten sich die Vögel ununterbrochen in der Luft auf! Das bedeutet, dass alle physiologischen Vorgänge, einschliesslich Ruhephasen, Mauser und Schlaf, ebenfalls im Flug erfolgen müssen. Die Drucksensoren enthüllten zudem ein interessantes alltägliches Verhalten: Jeden Abend und jeden Morgen stiegen die Vögel für ungefähr eine Stunde mehrere hundert Meter hoch in die Luft auf und kehrten danach wieder auf die Ausgangsflughöhe zurück. Der Grund für diese Aufstiege in der Dämmerung bleibt ein Rätsel, aber es könnte ein Teil eines bisher noch unerforschten Sozialverhaltens sein.

Solche und weitere Einsichten zum Verhalten sind ein unerwartetes Produkt aus der Forschung mit Geolokatoren. Mit Geolokatoren ausgerüstete Bienenfresser offenbarten, dass mehrere nicht miteinander verwandte Individuen das gesamte Jahr über zusammenbleiben. Man könnte dabei vielleicht sogar von einer Gruppe von «Freunden » sprechen. Diese «Freunde» nutzten nicht nur dieselben Überwinterungsplätze, sondern zeigten auch ein koordiniertes soziales Verhalten bei der Nahrungssuche. Besonders erstaunlich war, dass sich solche «Freunde» manchmal auf dem Zug trennten, sich jedoch später in den mehr als 5000 km entfernten Überwinterungsgebieten wieder trafen!

Internationale Zusammenarbeit als Erfolgsrezept

Dies sind nur einige der Highlights aus mittlerweile über 100 Geolokatorstudien, an denen sich die Schweizerische Vogelwarte in den letzten Jahren beteiligte. Bei einer Vielzahl der Studien handelte es sich um Zusammenarbeiten mit internationalen Partnern mit dem Ziel, bisher unbekannte Zugwege, Rastplätze und Überwinterungsgebiete von wenig untersuchten Vogelarten und -populationen zu dokumentieren. Die internationale Zusammenarbeit ist dabei besonders für vergleichende Studien wichtig. Sie erlaubt, grossräumige Muster im Zugverhalten zwischen den europäischen Brutgebieten und den afrikanischen und indischen Überwinterungsgebieten zu erkennen. Dies hilft zu verstehen, wie Zugvögel mit der Umwelt interagieren und wie ihre Physiologie und ihr Gesundheitszustand Zugentscheidungen, -leistungen und Überleben beeinflussen. Da Vögel keine Grenzen kennen, sind internationale Kooperationen in diesem Forschungsfeld von zentraler Bedeutung. Die internationale Vernetzung unter Zugvogelforschenden hilft zu erkennen, welche Rast- und Überwinterungsgebiete von Bedeutung für den Schutz von Zugvogelarten sind. Damit besteht die Möglichkeit, dass die gemeinsamen Anstrengungen in der Grundlagenforschung dazu beitragen, den Schutz vieler Zugvogelarten entlang der Zugrouten und in den Winterquartieren zu verbessern.