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News - Hintergrund

Die Anfänge der Vogelwarte

April 2024

Die Schweizerische Vogelwarte blickt auf eine bewegte Geschichte in den vergangenen 100 Jahren zurück. Zu ihrem Jubiläum wurde dies in der kurzweiligen Chronik «100 Jahre Schweizerische Vogelwarte Sempach» festgehalten.

Die ersten Pläne zur Gründung einer Vogelwarte wurden von Alfred Schifferli sen., dem späteren Gründer der Vogelwarte, folgendermassen zusammengefasst: «Seit vielen Jahren wurde in ornithologischen Kreisen das Fehlen einer wissenschaftlichen Zentrale für Vogelkunde und Vogelschutz empfunden. Es fehlte eine Stelle, welche die Berichte der Beobachter sammelte. Statt der Privatsammlungen, die da und dort zerstreut im Lande herum bestehen, oder neben ihnen sollte eine zentrale Sammlung da sein, zur Benützung für unsere Forscher. Die Beringung wurde lange Jahre von zwei Mitgliedern des Vorstandes der S.G.V.V. (Schweizerische Gesellschaft für Vogelkunde und Vogelschutz, heute Ala) auf eigene Kosten und privat durchgeführt. Im Vorstande unserer Gesellschaft wurde schon früher, im Jahre 1912 an einer Sitzung in Olten, die Schaffung einer Zentrale angeregt, doch fehlte es an Mut, an Zuversicht, an Geld, an allem.»

Der formelle Beschluss, eine schweizerische ornithologische Zentralstelle zu gründen, wurde am 10. Juni 1922 an der Frühjahrsversammlung der S.G.V.V. in Luzern gefasst, obschon die Finanzierung weiterhin nicht gesichert war. Ziele waren die Sammlung von präparierten Vögeln und Eiern, der Aufbau einer Handbibliothek und die «Kontrollen über die Beringungen der Vögel […] und die Ringabgabe». Als Ort wurde Sempach vorgeschlagen, weil das historische Städtchen zentral gelegen sei, mit dem See, Teichen und Bächen ein reiches Vogelleben beherberge und frei von Industrie sei. Weitere Argumente waren die Nähe zum Reservat Längenrain am Seeufer, dem ersten Schutzgebiet der S.G.V.V., und das Entgegenkommen der Behörden von Sempach. Vor allem aber wohnte der Mitinitiant Alfred Schifferli in Sempach und anerbot sich, die Arbeiten der Zentrale nach Möglichkeit in seiner Freizeit zu besorgen.

Er erledigte die Arbeiten für die Vogelwarte in seinem Wohnhaus. Die Eröffnungsfeier fand im Rahmen einer Tagung der S.G.V.V. am Sonntag, dem 6. April 1924, in Sempach statt. Der Präsident Albert Hess schilderte die Vorgeschichte und Alfred Schifferli referierte über «Die Bedeutung von Sempach als Vogelzugsbeobachtungspunkt ».

Beringungszentrale und Starenberingung

Die Vogelzugforschung war von Anfang an eine der Hauptaufgaben der Vogelwarte. Sie übernahm die Funktion der «Schweizerischen Zentralstation für Ringversuche». Dies bedeutete einerseits die Abgabe und Verwaltung der Ringe, andererseits widmete sich Alfred Schifferli selbst sehr intensiv der Vogelberingung. 1925 wurden 408 Vögel oder etwa 25 % aller in der Schweiz beringten Vögel an der Vogelwarte markiert.

Im Herbst 1927 reisten Alfred Schifferli und seine Frau nach Helgoland, wo sie sich von Rudolf Drost, dem Leiter der dortigen Vogelwarte, den Vogelfang mit Reusen zeigen liessen. Im Oktober 1931 und Ende September 1932 konnten die beiden das Osservatorio ornitologico del Garda in Salò besuchen, eine Fanganlage, die teilweise von der Universität Bologna betrieben wurde. Schon 1929 wurde die Schweizerische Vogelwarte in einer Übersicht über die europäischen Beringungszentralen aufgeführt.

Oft wurde nachts vom Ruderboot aus gefangen. Bei Schwalben gelang das an ihren nächtlichen Schlafplätzen gut, bei Staren wegen ihrer Wachsamkeit zu Beginn weniger. Diese Aktionen waren nicht immer ganz ungefährlich, was Alfred Schifferli so beschrieb: «Wie schon in den Vorjahren stunden uns die Boote vom Schloss Wartensee und dem Fischer von Sempach zu jeder Zeit zur Verfügung. Fast zu allen Tages-, mehr aber noch zu Nachtzeiten, machten wir von diesen zuverlässigen Fahrzeugen Gebrauch. Als uns einmal gegen Mitternacht auf der Heimfahrt der Wind unvermutet überraschte, waren wir über sein drittes Ruder sehr froh, dadurch wurde die vom Sturm erzwungene Notlandung im dichten Schilf besonders für Frau und Kinder etwas weniger ungemütlich.»

Am 24. Oktober 1929 wurde erstmals ein bereits anderswo beringter Vogel in Sempach gefangen. Es war ein Star, der seinen Ring am 29. Mai desselben Jahres in Halle an der Saale im heutigen Bundesland Sachsen-Anhalt erhalten hatte.

Vogelpflege, Auskunftsdienst, Besuche und Öffentlichkeitsarbeit

Die Vogelwarte wurde von Anfang an als Auskunftsstelle in Anspruch genommen. Schon 1926 waren einige hundert Briefe zu beantworten, «am Sonntag oder am Abend nach Geschäftsschluss» 1936 waren es schon 1887 briefliche und telefonische Anfragen über Vogelschutz und 1951 bis 1952, als die Beratungsstelle für Vogelschutz der Ala an die Vogelwarte ging, einige tausend. Im Gründungsjahr kamen ausserdem 104, im Jahr darauf 50 Besucherinnen und Besucher. Bald war der Ansturm so gross, dass 1932 erwogen wurde, nur gewisse Tage für Führungen zu reservieren. Ebenfalls schon in den ersten Jahren war die Vogelwarte in Zeitungen und Zeitschriften präsent. Alfred Schifferli notierte 1928: «Durch Belehrungen in der Presse wurde nach Möglichkeit versucht, die Idee des Vogelschutzes auszubreiten.»

Alfred Schifferli beklagte sich immer wieder über die grosse Arbeitslast. Den Jahresbericht für 1929 schloss er so: «Wir dürfen zufrieden sein mit dem, was wir erreichten, aber ein grosses Bedauern und eine tiefe Niedergeschlagenheit packen mich, wenn ich daran denke, was wir schaffen und erreichen könnten, wenn uns durch eine Behörde oder eine Bildungsstelle so geholfen würde, dass sich jemand ganz der Vogelwarte widmen könnte, wenn nicht alles so nebenbei besorgt werden müsste. Wie schön wäre es, wenn unsere Gesellschaft als Inhaberin der Vogelwarte ihre bescheidenen Mittel nicht überallhin so knapp abmessen müsste, damit auf den Gebieten Vogelkunde und Vogelschutz nur das Allernötigste getan werden kann. Nicht nur hier in Sempach, auch anderwärts im Lande sind die Leute, welche Ornithologie treiben, meistens auf Erwerb in ganz andern Tätigkeitsgebieten angewiesen. Alles sind Liebhaber, Freunde der Natur, und die Begeisterung für ein Ideal lässt sie für diesen Wissenschaftszweig arbeiten. Aber schliesslich kann die grösste Begeisterung erlahmen, wenn am weiten Horizont kein Hoffnungsschimmer auftaucht und keine Aussicht ist, dass es einmal besser werde. Dies möge man auch da und dort beim Beurteilen des Standes der Ornithologie in der Schweiz erwägen.»

Buch «100 Jahre Schweizerische Vogelwarte Sempach»

Dieser Text ist ein leicht abgeänderter Auszug aus dem Buch «100 Jahre Schweizerische Vogelwarte Sempach». Die Chronik schildert, was aus der Idee der Gründer geworden ist, wie sich die Vogelwarte vom ehrenamtlich geführten Einmannbetrieb zur prosperierenden Stiftung für Vogelkunde und Vogelschutz entwickelt und was sie in diesen ersten hundert Jahren schon alles erreicht hat.

Das Buch kann für 100 CHF bezogen werden (unten) oder unter www.vogelwarte.ch/shop.

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