Die Untersuchung der Abwanderungs- und Ansiedlungsgeschichten in Kombination mit Daten zu Bruterfolg und Überleben lässt uns deshalb verstehen, wie die Verdichtung und die Ausbreitung der Schweizer Rotmilanpopulation vor sich gehen. Um vertiefte Einblicke in diese Prozesse zu erhalten, startete die Schweizerische Vogelwarte im Jahr 2015 ein Forschungsprojekt, in dem mehrere Hundert Rotmilane mit GPS-Loggern ausgerüstet werden sollen. Die Untersuchung detaillierter Bewegungen von Vögeln erfährt durch die rasanten technischen Entwicklungen des Ortens neue Möglichkeiten. Mit Hilfe automatischer satellitengestützter Ortungssysteme ist es heute möglich, Vögel in der Grösse von Rotmilanen häufig und genau zu orten. Damit können nun die Wanderungen der Jungvögel untersucht werden. Im Rotmilan- Forschungsprojekt kommen solarbetriebene GPS-Logger zum Einsatz, die sowohl stündliche Ortungen per Handynetz auf einen Server schicken, wie auch die Möglichkeit zum Herunterladen von Zwischenortungen per Funkverbindung bieten. Damit können bei guten Lichtbedingungen Ortungen im 2-Minuten-Takt gewonnen werden. So sollte es möglich sein, die Bewegungen von GPS-besenderten Rotmilanen über mehrere Jahre hinweg sehr genau zu verfolgen. Ausserordentlich spannend dürften die Erkundungsflüge der Jungvögel nach der Unabhängigkeit, die Zugbewegungen, die Raumnutzung von subadulten Nichtbrütern und die Ansiedlungen als Brutvogel sein. Auch Mortalitätsursachen und Überlebensraten von Jung- und Altvögeln sind mit den verwendeten Geräten viel leichter zu eruieren.
Die Überwachung der Bruten wird über zwei Kamerasysteme bewerkstelligt: Im Winter, noch vor der Rückkehr der Rotmilane zum letztjährigen Nest, werden an bekannten Horsten Minikameras installiert, die dank eines Kabels von der Stammbasis aus Einsicht ins Nest ermöglichen. Damit können wir die Gelegegrösse, die Nestlingssterblichkeit und das Alter der Jungvögel bestimmen. Von der Eiablage bis ins Alter von etwa 15 Tagen darf das Brutgeschäft nicht durch Kletteraktionen gestört werden, da sonst die Gefahr einer Brutaufgabe droht. Bewegungsausgelöste Fotofallen zur Bestimmung der Futtermenge und der Art der Nestlingsnahrung werden deshalb erst später an den Nestern angebracht.
Mit den Resultaten aus dem Pilotjahr 2015 gelangen erste Einblicke in die Biologie dieser spannenden Art: Im Freiburger Untersuchungsgebiet stellten wir mittels Revierkartierung eine der höchsten bekannten Brutdichten fest. Allerdings war die Zahl der erfolgreichen Bruten klein, so dass bei lediglich 30 % der anwesenden Paare mindestens ein Junges ausflog. Viele Paare besetzten zwar ein Revier, begannen aber kein Gelege. Unsere Resultate unterstreichen, dass hohe Brutpaar-Dichten nicht mit hohem Bruterfolg einhergehen müssen. Die erfolgreichen Paare blieben mit durchschnittlich 1,4 Jungvögeln unter dem langjährigen Mittel von 1,8 Jungvögeln. Auch das Körpergewicht der Jungvögel bei der Beringung wies unterdurchschnittliche Werte auf. Diese niedrigen Werte kamen durch das Zusammenbrechen der Mäusepopulationen im späten Frühling zustande, was wir durch die Erfassung von Mäusespuren zeigen konnten. Das Ausbleiben der Mahd durch die nasse Witterung Ende April und Anfang Mai erschwerte die Erreichbarkeit der Nahrung zusätzlich.
Trotz des schlechten Bruterfolgs wurden 44 junge Rotmilane aus 31 Nestern mit GPS-Loggern ausgerüstet. Die grösste Sterblichkeit wurde, wie bei vielen Vogelarten, kurz nach dem Ausfliegen festgestellt. Sie war bei Jungvögeln mit unterdurchschnittlichem Gewicht erhöht. Erste Bewegungsdaten liegen vor und können auf unserer Internetseite angeschaut werden (siehe Box). In den nächsten drei Brutsaisons soll die Forschung weitergeführt werden, so dass genügend junge Rotmilane bis zur ersten Brut nach 2–3 Jahren verfolgt werden können, um die Auswirkungen der unterschiedlichen Erkundungsflüge und Zugverhalten untersuchen zu können. Wir sind jedenfalls schon gespannt auf die erste Rückkehr der letztjährigen Jungvögel. Wo werden sie sich im ersten Sommer aufhalten?