Entenbruten auf Flachdächern und Balkonen

Stockenten sind äusserst anpassungsfähig. Sie besiedeln Gewässer aller Art und sind im Sommerhalbjahr die häufigsten Wildenten in der Schweiz. Als Kulturfolger kommen sie selbst mitten in Grossstädten vor. Normalerweise brütet die Stockente am Boden und legt ihr Nest gut versteckt in der Vegetation an. Gelegentlich werden aber auch alte Krähennester und Greifvogelhorste auf Bäumen oder sogar Flachdächer und Balkone als Neststandort ausgesucht. Dort ist die Brut sicher vor Raubfeinden. Dafür ist der Weg ans Wasser für die Entenfamilie oft sehr gefährlich und unter Umständen nur mit menschlicher Hilfe zu bewältigen.

Brutablauf

Stockenten brüten zwischen Mitte März und Ende Juli. Das Weibchen legt täglich ein helles, blass bräunlich- bis bläulichgrünes Ei. Wenn das Gelege von meist 7–11 Eiern vollständig ist, beginnt das Weibchen zu brüten. Es kümmert sich allein um die Brut. Das Männchen begleitet aber sein Weibchen bei den Brutunterbrechungen und verbringt anfänglich einen grossen Teil des Tages in der Nähe des Nestes. Die Ente verlässt ihr Gelege ein- bis zweimal am Tag für kurze Zeit, um zu fressen und das Gefieder einzufetten, normalerweise morgens und abends je 30–60 Minuten. Vor dem Verlassen deckt sie das Gelege mit Dunen zu. Die Brutdauer beträgt 28 Tage.

Im Gänsemarsch ans Wasser

Die Jungen schlüpfen nahezu gleichzeitig innerhalb von wenigen Stunden. Als Nestflüchter verlassen die Küken das Nest gewöhnlich 6–12 Stunden nach dem Schlüpfen und folgen der Mutter sofort ans Wasser. Befindet sich das Nest in der Uferböschung, ist dies kein Problem. Liegt das Nest weiter vom Ufer entfernt, bewältigen die Küken unter Führung ihrer Mutter eine bis zu 5 km lange Wanderung. Im Siedlungsraum sind der Strassenverkehr und bauliche Hindernisse dabei eine grosse Gefahr.

Sprung ins Leben

Weit schwieriger ist die Situation bei Bruten in grosser Höhe auf einem Flachdach, einem Balkon oder in einem alten Krähennest auf einem Baum. Die unten am Boden sitzende Mutter fordert die wenige Stunden alten Küken durch Rufe zum Sprung in die Tiefe auf. Die Jungen zeigen keine Furcht vor der Höhe. Sie lassen sich mit weit gespreizten Schwimmhäuten fallen und schlagen dabei heftig mit den Flügelchen. Das geringe Gewicht und das dicke Dunenkleid sorgen für eine mehr oder weniger weiche Landung. Nur selten verunglückt eines der Küken. Solche Sprünge sind bei den Stockenten allerdings die Ausnahme, da sie normalerweise am Boden brüten. Dagegen ist bei den in Baumhöhlen brütenden Schellenten und Gänsesägern ein Sprung aus bis zu 10 m Höhe die Regel.

Entenbrut im Balkonkistchen - was tun?

Die Entenfamilie muss möglichst schnell an ein grösseres Gewässer gelangen, wo die Küken genügend Nahrung finden. In den ersten Wochen brauchen sie vor allem Insekten. Am Neststandort soll daher weder Futter noch Wasser angeboten werden.

Schwierig wird es, wenn die Entenfamilie ein Gewässer nicht aus eigener Kraft erreichen kann. Bei Bruten an Gebäuden verunmöglichen häufig Brüstungen und andere Hindernisse den Absprung. Ein schräg angestelltes Brett kann da Abhilfe schaffen. Man kann die wenigen Stunden alten Küken auch einsammeln und in einem Korb abseilen. Beide Varianten sind aber nur dort sinnvoll, wo der anschliessende Marsch ans Wasser nicht über eine stark befahrene Strasse führt.

Sonst soll man versuchen, die ganze Entenfamilie an ein Gewässer zu bringen. Dabei leisten Flurpolizei oder Wildhüter Hilfe. Am besten erfolgt diese heikle Aktion vormittags, so dass sich die Entenfamilie noch am gleichen Tag in der neuen Umgebung eingewöhnen kann. Der Transport soll wenige Stunden nach dem Schlüpfen aller Küken erfolgen. Es gilt zuerst das Weibchen einzufangen. Dazu nähert man sich vorsichtig der Ente. Sie wird mit fortschreitender Brutzeit gegen Störungen immer unempfindlicher und lässt den Menschen schliesslich oft bis auf einen Meter ans Nest herankommen. Ist man nahe genug, packt man beherzt zu oder man wirft ein Leintuch oder ein Netz über das von Ente und Jungen besetzte Nest. Einen zweiten Versuch gibt es nicht! Wenn die Aktion misslingt und die Mutter nicht mehr zurückkehrt, müssen die Küken in eine Pflegestation gebracht werden. Die Adressen der nächsten Pflegestation erfahren Sie beim SVS oder bei der Vogelwarte. Das Einsammeln der Dunenküken bereitet etwas weniger Mühe. Man darf aber keines der Jungen vergessen. Der Altvogel wird in die eine, die Küken werden in eine zweite Kartonschachtel verpackt. Anschliessend bringt man die Entenfamilie unverzüglich an ein Gewässer. Zuerst lässt man die Küken frei. Da ihr Gefieder noch nicht wasserabstossend ist, setzt man sie ans Ufer. Sobald die Jungen zu piepsen beginnen, entfernt man sich ein paar Meter von den Küken und öffnet nun die Kartonschachtel mit der Entenmutter. Sie kann vorerst wegfliegen, kehrt aber zurück, sobald man sich weiter entfernt hat. Als Freilassungsort eignen sich naturnahe Seeufer und Weiher, auf denen sich bereits andere Enten aufhalten. Das Gebiet soll gut bewachsene Ufer mit dichter Vegetation (Schilf, überhängende Äste) aufweisen, in der die Küken Deckung finden. Kleine Gartenweiher sind nicht geeignet – die Entenfamilie würde rasch abwandern.

"Ente gut, alles gut!"

Am Gewässer findet sich die Entenfamilie schnell zurecht. Die Dunenjungen fressen von Anfang an selbständig, anfänglich vor allem Insektenlarven, erst später auch Grünpflanzen. Unter der Obhut ihrer Mutter wachsen die Jungen rasch heran und werden mit 8 Wochen voll flugfähig.

Impressum: Merkblätter für die Vogelschutzpraxis

© Schweizerische Vogelwarte & SVS/BirdLife Schweiz, Sempach & Zürich, 2012.
Autor: M. Kestenholz
Das Kopieren mit Quellenangabe ist erwünscht.

Merkblatt

Entenbruten auf Flachdächern und Balkonen