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© Marcel Burkhardt

Der Weissstorch sucht seine Nahrung gerne in Feuchtwiesen. Von einer Extensivierung des Kulturlands würde der Weissstorch profitieren, und mit ihm zahlreiche weitere Arten.

News - Hintergrund

Adebar im Aufwind

August 2023

Vor 70 Jahren war der Weissstorch in der Schweiz ausgestorben, heute schreitet er erfreulicherweise wieder vielerorts über die Wiesen und Felder. Die Gründe für diesen Erfolg sind vielfältig. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Engagement vieler Freiwilliger.

Um 1900 gab es in der Schweiz noch 140 Brutpaare des Weissstorchs, 1950 bereits kein einziges mehr. Zu diesem dramatischen Bestandseinbruch haben mehrere Faktoren beigetragen: Ab dem 19. Jahrhundert bis in die 1970er-Jahre wurden grossflächig Feuchtgebiete entwässert. Dadurch verschwanden für den Weissstorch typische Nahrungshabitate wie Sumpflandschaften oder Wässermatten. Zudem wurden vor allem während der beiden Weltkriege viele neue Freileitungen in der Schweiz eingerichtet, wodurch vermutlich viele Störche an Stromschlag starben. Schliesslich könnte auch das Wetter eine Rolle gespielt haben: Längere Dürreperioden in der afrikanischen Sahelzone führten möglicherweise zu einer höheren Sterblichkeit von Altvögeln im Winterquartier, und in der Schweiz könnten Schlechtwetterperioden im Frühling zu schlechtem Bruterfolg geführt haben.

Max Bloesch, ein passionierter Storchenfreund, wollte aber dem Verschwinden des Weissstorchs nicht tatenlos zusehen. In Altreu SO unternahm er den gewagten Versuch, die Störche wieder anzusiedeln. Nach anfänglichen Fehlschlägen gelang es, Jungstörche über die kritischen Jugendjahre in Gehegen zu behalten und danach freizulassen. Die zurückbehaltenen Störche zogen nicht weg und brüteten später erfolgreich. Weitere Aussenstationen wurden an insgesamt 24 Standorten zwischen Genfersee und St. Galler Rheintal gegründet. Begleitet wurden diese Wiederansiedlungen von der 1976 gegründeten «Gesellschaft zur Förderung des Storchenansiedlungsversuches», heute «Storch Schweiz». Zwischen 1970 und 1992 stieg die Storchenpopulation von knapp 20 auf 140 Brutpaare an. 1995 wurde auf internationaler Ebene beschlossen, die Auswilderung zu beenden und auf eine sich selbst erhaltende Population von Wildvögeln hinzuarbeiten. Seither nahm der Bestand noch einmal rasant zu: Im 2010 publizierten Aktionsplan für den Weissstorch in der Schweiz wurde als Ziel 300 Brutpaare bis 2024 festgelegt, 2022 zählten wir bereits 887 Brutpaare – ein toller Erfolg! Alles in allem ist für die schnelle Erholung des Weissstorchs wohl eine Kombination von Schutzund Förderbemühungen und veränderten Umweltbedingungen verantwortlich.

Zugverhalten, Gefahren und Förderung

Schon seit Beginn des Wiederansiedlungsprojekts in der Schweiz werden die Weissstörche zur Erfolgskontrolle wo immer möglich beringt und das Brutgeschehen an den Horsten verfolgt. So haben wir in der Schweiz eine der am besten dokumentierten Populationen in Europa. Zusätzlich werden Weissstörche seit 1999 besendert, um besser zu verstehen, welchen Gefahren die Tiere auf ihren Zugrouten ausgesetzt sind. Dank Beringung, Besenderung und Monitoring wissen wir heute sehr viel über die Entwicklung der Populationen, Gefahren, das Zugverhalten sowie Überwinterungsund Rastgebiete der europäischen Weissstörche.

Todesursachen für ausgewachsene Weissstörche sind unter anderem Kollisionen mit Stromleitungen und Abschüsse auf den Zugrouten und in den Überwinterungsgebieten. Das Zugverhalten hat sich aber im Laufe der letzten Jahrzehnte stark verändert. Die meisten, und vor allem ältere Tiere, verbringen heute den Winter auf offenen Mülldeponien in Spanien und Portugal. Zudem sind wegen des Klimawandels die Winter auch in der Schweiz milder geworden, so dass die Störche oft hierbleiben. Im Winter 2022/23 waren es rund 650 Tiere. So sparen sie sich die anstrengende und risikoreiche Reise bis nach Afrika, wodurch auch ihre Überlebenswahrscheinlichkeit steigt.

Analysen zeigen denn auch, dass der aktuelle Bestandsanstieg vor allem auf einen Rückgang der Sterblichkeit von Altvögeln zurückzuführen ist. Luft nach oben besteht jedoch beim Bruterfolg. Dieser sollte für eine selbsterhaltende Population laut Berechnungen bei durchschnittlich zwei Jungen pro Brutpaar liegen, was in den meisten Jahren nicht erreicht wird. Um den guten Bestand zu sichern, brauchen Weissstörche ausreichend Brutmöglichkeiten, Nahrungshabitate in der Nähe der Nester und entschärfte Gefahrenquellen. Auch heute verenden immer noch Störche etwa durch Stromschlag an Mittelspannungsleitungen. Die Förderung des Weissstorchs ist nicht ohne Aufwand möglich, der hierzulande vor allem durch ein Netzwerk aus Freiwilligen geleistet wird, koordiniert von Storch Schweiz. Diese überwachen die Horste, beringen Nestlinge, lesen Ringe ab, leisten Unterstützung beim Unterhalt von Horsten und sensibilisieren die Bevölkerung. Leider hat der Aktionsplan nicht zum gewünschten Erfolg bei der Schaffung von Nahrungshabitaten geführt. Der Weissstorch ist zwar eine Schirmart für eine extensive Bewirtschaftung des Kulturlands, aber die agrarpolitischen Rahmenbedingungen für das Anlegen von extensivem Grünland oder Feuchtwiesen sind nach wie vor schwierig.

Neue Herausforderungen

Obwohl die westliche Population des Weissstorchs in Europa momentan einen Aufschwung erlebt, dürfen anstehende Herausforderungen nicht vergessen werden. Dazu gehören etwa Umweltverschmutzung und Urbanisierung. Verschiedene Studien zeigen, dass in Horsten mehr Abfall zu finden ist, wenn sie näher an urbanen Gebieten liegen oder die Umgebung mehr Fremdstoffe aufweist. Solcher Müll kann auch für Nestlinge gefährlich werden, wenn sich etwa eine Schnur um ein Bein wickelt und dieses einschnürt. Auch tragen Störche nicht-organische Stoffe in die Horste, verfüttern diese den Jungtieren oder fressen sie selbst. So wurden in Mägen verendeter Alt- und Jungstörche zahlreiche Fremdstoffe und vor allem Plastik festgestellt. Hier können wir entgegenwirken, indem wir geeignetes Nestmaterial in der Nähe von Horsten zur Verfügung stellen, Nahrungshabitate aufwerten und Littering vermeiden.

Mit dem starken Wachstum der Weissstorchpopulation muss auch der Mensch seinen Umgang mit dieser Art wieder neu lernen. Einerseits ist aus Sicht der Storchenschützenden der Aufwand für ein umfassendes Monitoring des Brutbestandes und für die Beringung gestiegen. Die Störche brüten nicht mehr nur an den langjährigen Standorten, sondern oft auch an neuen. Noch haben wir einen guten Überblick, doch ohne Nachwuchs bei der Freiwilligenarbeit kann dieser Aufwand nicht mehr lange aufrechterhalten werden. Andererseits wird der Weissstorch teilweise bereits als selbstverständlich wahrgenommen. Mancherorts kursiert sogar schon der Begriff «Problemstorch ». Denn während früher ein Storchenhorst auf dem Dach als Glücksbringer galt, ist man es heute nicht mehr gewohnt, dass so grosse Vögel in der Nachbarschaft oder gar auf dem eigenen Hausdach brüten. Manche Personen sind überfordert, wenn Störche beim Horstbau Äste auf die Liegenschaft fallenlassen oder Kotspritzer zu Verschmutzungen führen. Mit Öffentlichkeitsarbeit versuchen Storchenfreundinnen und -freunde die Bevölkerung für die Bedürfnisse des Weissstorchs zu sensibilisieren. So werden immer wieder gemeinsam pragmatisch Lösungen gefunden, die für Störche und Menschen akzeptabel sind. Verschiedene Hilfsmittel werden bereits zur Sensibilisierung genutzt, etwa Webcams mit Einblick ins Brutgeschäft, Unterrichtsmaterialien für Schülerinnen und Schüler oder spezielle Ausstellungen.

Trotz des erfreulichen Bestandsanstiegs sollten wir Sorge tragen für den Weissstorch, denn er gilt nach wie vor als potenziell gefährdet, und die dynamische Entwicklung der letzten 100 Jahre zeigt, wie schnell sich die Situation wieder ändern kann.

Die Schweizerische Vogelwarte koordiniert gemeinsam mit Storch Schweiz das Monitoring für den Weissstorch. Vielerorts setzen sich lokale und regionale Gruppen und Organisationen für den Weissstorch ein. Möchten Sie sich für Beringung, Monitoring oder Förderung des Weissstorchs engagieren? Melden sie sich unter storch-schweiz@bluewin.ch.

Im Beitrag erwähnte Vogelarten

Vogelarten
Weissstorch
Der Weissstorch ist als Kinder bringender Klapperstorch und als Glücksbringer «Adebar» wohlbekannt. Seit der Antike wurde der Storch als Botschafter der Fruchtbarkeit von einigen Völkern vergöttert und geschützt. Die Intensivierung und moderne Methoden der Landwirtschaft sind verantwortlich, dass...
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