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Lautlos und weiss, wie ein Geist umgibt die Schleiereule eine Aura des Mysteriösen. Dies ist Teil ihrer Faszination, als effiziente Mäusejägerin ist sie auch in der Landwirtschaft beliebt.

News - Hintergrund

Die vier Jahreszeiten der Schleiereule

Dezember 2023

Die Schleiereule bleibt ganzjährig in ihrem Revier und weicht selbst in strengen Wintern nicht in Gebiete mit besseren Bedingungen aus. Um sie zu fördern, ist es deshalb wichtig zu wissen, welche Lebensraumansprüche die Schleiereule im Jahresverlauf hat, wo sie ihre Nahrung findet und wie sich die im Jahresverlauf wechselnde Nahrungsverfügbarkeit auf ihr Überleben und ihren Bruterfolg auswirkt.

Es ist eine warme Sommernacht im Juli, eine Forscherin der Vogelwarte Sempach liegt in einer Tabakscheune in der Westschweiz, gut versteckt unter einer Landmaschine, und achtet darauf, kein Geräusch zu machen. Plötzlich durchbricht ein lautes, mehrstimmiges Fauchen die Stille: Die jungen Schleiereulen reagieren auf die Ankunft des Altvogels am Nest und beginnen zu betteln. Kurz darauf hört man eine Klappe zufallen: Eine Schleiereule ist in die Falle getappt, die im Nistkasten installiert wurde. Sie wird mit einem kleinen GPS-Gerät ausgestattet und liefert nun wertvolle Daten über das Leben der heimlichen und nachtaktiven Schleiereule.

Ursprünglich eine Steppenbewohnerin, die in Fels- und Baumhöhlen brütet, hat sich die Schleiereule in Europa zu einer Kulturfolgerin entwickelt, die in Gebäuden brütet und im offenen Kulturland nach Mäusen jagt. Diese Abhängigkeit von der vom Menschen geprägten Landschaft macht die Schleiereule besonders anfällig für die Intensivierung der Landwirtschaft und Veränderungen in der Bewirtschaftung. Seit rund 20 Jahren erforscht und fördert die Vogelwarte daher zusammen mit Alexandre Roulin von der Universität Lausanne eine Schleiereulenpopulation in der Westschweiz. Ein Fokus dabei liegt auf der Raumnutzung der Schleiereule im Jahresverlauf.

Mäuse im Verlauf der Jahreszeiten

Die Untersuchungen der Vogelwarte zur Habitatnutzung haben ergeben, dass die Schleiereule im Sommer ein breites Spektrum an im Kulturland verfügbaren Habitaten zur Jagd nutzt: Von Grasland über Getreidekulturen bis hin zu Biodiversitätsförderflächen. Im Winter jedoch beschränkt sich die Schleiereule vor allem auf Wiesen und Weiden sowie Feldränder.

Diese Änderung in der Habitatwahl ist auf eine Verschiebung der Beute in der Landschaft zurückzuführen, die wiederum mit der landwirtschaftlichen Nutzung zusammenhängt. Die Getreideernte im Spätsommer führt dazu, dass sich die Landschaft innert kürzester Zeit grossflächig drastisch ändert: Die Kulturen werden stark gestört und die Vegetation entfernt. Mobile Beutearten wie Waldmäuse ziehen sich deshalb in weniger stark gestörte Habitate, wie Feldränder, Hecken und Wälder zurück. Wälder gehören aber nicht zu den Jagdgebieten der Schleiereule, weshalb die Waldmäuse für die Schleiereule dort nicht erreichbar sind. Nach der Ernte kommen grossflächig bewachsene Bereiche oft nur noch in Form von Wiesen und Weiden vor, in denen die Schleiereule im Winterhalbjahr vor allem Wühlmäuse findet.

Während also Getreide- und andere Kulturen, die im Spätsommer geerntet werden, an Attraktivität als Jagdgebiet verlieren, wird Grasland zeitgleich immer attraktiver. Flächenmässig stellt Grasland aber meist nur einen kleineren Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche dar, weshalb sich der Anteil geeigneter Jagdfläche im Winter drastisch reduziert. Schleiereulen jagen im Winter denn auch bevorzugt auf Wiesen und Weiden, die in der Nähe von Strukturen wie Hecken und Buntbrachen liegen, da diese viele Beutetiere beherbergen und Sitzwarten für die Ansitzjagd bieten.

All you need is food

Das sich im Jahresverlauf ändernde Nahrungsangebot hat direkte Auswirkungen auf die Überlebensrate und den Fortpflanzungserfolg der Schleiereule. Männchen und Weibchen sind dabei nicht mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert. Dies lässt sich durch die unterschiedlichen Rollen bei der Jungenaufzucht erklären: Das Weibchen legt die Eier und brütet sie aus. Jagen muss sie aber nicht, es wird in dieser Zeit vom Männchen gefüttert. Auch wenn die Jungen geschlüpft sind, übernimmt das Männchen die Hauptarbeit und jagt den grössten Teil der Nahrung für die Küken.

Für die Männchen bedeutet daher die Aufzucht vieler Jungen gleichzeitig auch eine geringere Überlebenswahrscheinlichkeit bis zur nächsten Brutsaison. Die Männchen sollten daher abwägen, wie viel Energie sie in die Aufzucht der Jungen investieren und wieviel Reserven sie für das eigene Überleben im nächsten Winter zur Verfügung haben sollten. Sie sind allerdings in der Lage, die Fortpflanzungskosten zumindest teilweise zu kompensieren: Wenn zu Beginn des Winters ausreichend Nahrung zur Verfügung steht, können sie ihre Energiereserven wieder auffüllen und damit ihre Überlebenschancen bis zum nächsten Frühjahr erhöhen.

Bei den Weibchen sieht man einen solchen Kompromiss zwischen Fortpflanzungserfolg und Überlebenswahrscheinlichkeit nicht. Das Weibchen muss, vor allem wenn die Bedingungen gut sind, nicht viel Nahrung herbeischaffen und kann sich so früher als das Männchen von den Strapazen des Brütens erholen. Wenn viel Nahrung zur Verfügung steht, haben Weibchen daher einen grösseren Fortpflanzungserfolg und gleichzeitig eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit.

Der Start in die Unabhängigkeit

Über die Zeit, nachdem die jungen Schleiereulen das elterliche Nest verlassen haben, war bislang wenig bekannt, obwohl dies eine kritische Phase im Leben ist und viele kurz nach dem Ausfliegen sterben. Um zu untersuchen, welche Habitatstrukturen das Überleben während der Zeit der ersten Jagdversuche und der Abwanderung begünstigen, haben wir junge Schleiereulen vor ihrem ersten Ausflug mit kleinen Sendern ausgestattet. Zusätzlich haben wir vor den Nistkästen eine Sitzwarte mit integrierter Waage und einem Chip-Identifikationssystem befestigt. Die Schleiereulen wurden mit einem Plastikring mit eingebautem Chip ausgestattet, so dass jedes Mal, wenn sie sich auf die Sitzwarte vor dem Nistkasten setzen, ihr Chip und ihr Gewicht registriert wurden.

Die Kombination dieser neuen Technik mit Senderdaten hat einige neue Erkenntnisse erbracht: Junge Schleiereulen fliegen durchschnittlich im Alter von 62 Tagen zum ersten Mal aus, wobei das stark von den Umweltbedingungen abhängt. Ist das Nahrungsangebot rund um den Nistkasten reichhaltig, fliegen die Jungen später aus und sind auch körperlich weiterentwickelt. Dies wiederum erhöht ihre Überlebenschancen nach dem Ausfliegen. Dann müssen die jungen Schleiereulen das Jagen erlernen. Bis sie etwa 75 Tage alt sind, kehren sie jedoch immer wieder zum Nistkasten zurück, wo sie noch gelegentlich von den Eltern gefüttert werden, bis sie schliesslich selbständig werden. In dieser Phase sind die jungen Eulen auf ein gutes Nahrungsangebot in der Nähe des Nistkastens angewiesen.

Je mehr Nahrung sie dort finden, desto früher werden sie von den Eltern unabhängig und können sich selbst versorgen. Auch die Umgebung spielt eine Rolle: Je mehr Biodiversitätsförderflächen in der Umgebung des Nistkastens vorhanden sind, umso später und in besserer körperlicher Verfassung verlassen die jungen Schleiereulen schliesslich das elterliche Revier. Dies hat weitreichende Konsequenzen: Je mehr Energiereserven sie beim Verlassen des elterlichen Reviers haben, desto höher sind ihre Überlebenschancen.

All diese Erkenntnisse zeigen, dass die Schleiereule eine reich strukturreiche Landschaft braucht, in der sie einerseits das ganze Jahr über ausreichend Nahrung findet, andererseits viele Ansitzwarten zum Jagen. Dies ist nur möglich, wenn wir in der intensiv genutzten Landschaft weiterhin Biodiversitätsförderflächen wie Buntbrachen, mehrjährige Ackerschonstreifen, sowie Hecken und Biotopbäume fördern.

Im Beitrag erwähnte Vogelarten

Vogelarten
Schleiereule
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