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News - Hintergrund

Vogelschutz an der Vogelwarte

Dezember 2024

Die Schweizerische Vogelwarte blickt auf eine bewegte Geschichte in den vergangenen 100 Jahren zurück. Zu ihrem Jubiläum wurde dies in der kurzweiligen Chronik «100 Jahre Schweizerische Vogelwarte Sempach» festgehalten.

In den ersten Jahren nach der Gründung bestand der Vogelschutz in der Vogelwarte vor allem aus der Pflege von verletzten Vögeln und verlassenen Jungvögeln, die die Menschen zur Vogelwarte brachten, der Mitarbeit im Schweizerischen Landeskomitee für Vogelschutz und der Information von Behörden und Bevölkerung. Mit der Zunahme der finanziellen Mittel und des Personalbestands wurden auch die Aktivitäten für den Schutz und die Förderung der Vogelwelt immer wichtiger und vielfältiger.

Im ersten Reglement der Vogelwarte von 1938 wurde festgehalten, dass diese «der schweizerischen ornithologischen Forschung im weitesten Masse zu dienen» hat. Von Vogelschutz ist darin nicht die Rede. Doch war die Vogelwarte schon bei der Gründung als «wissenschaftliche Zentrale für Vogelkunde und Vogelschutz» konzipiert, wie Alfred Schifferli sen. 1926 vermerkte. Aktivitäten für den Vogelschutz sind bereits im Jahresbericht von 1926 unter einer separaten Rubrik erwähnt. Die Vogelwarte verstand sich also schon immer als Anwältin der einheimischen Vögel.

Schon bald kam Alfred Schifferli sen. mit der Vogelpflege, dem Aufhängen von Nistkästen und der Aufklärung der Bevölkerung über Vogelschutz in der Presse und in zahlreichen Vorträgen an die Grenzen seiner Kapazität. In den 1930er- und den Kriegsjahren findet sich ausser der Vogelpflege wenig über Vogelschutz in den Jahresberichten. Erst Ende der 1940er-Jahre kamen mit dem Versuch zur Wiederansiedlung des Weissstorchs und den Untersuchungen zu den Auswirkungen chemischer Maikäferbekämpfung Vogelschutzthemen auf. Als der Bestandsrückgang vieler Vogelarten immer deutlicher wurde, erhielt der Vogelschutz landesweit eine grössere Bedeutung. 1955 wurde er ausdrücklich im Stiftungsstatut der Vogelwarte verankert. Diese solle «der schweizerischen ornithologischen Forschung und dem Vogelschutz im weitesten Ausmass» dienen.

Zum 50. Jubiläum der Vogelwarte 1974 wurde die sogenannte «angewandte Ornithologie und Vogelschutz» zu einem eigenen Ressort aufgewertet. Alfred Schifferli formulierte: «Die angewandte Ornithologie hat sich mit all jenen Problemen zu befassen, die sich aus dem Zusammenleben von Mensch und Vogel ergeben». Dies bedeute einerseits «Erhalten und Schaffen des Lebensraums und Artenschutz» und auf der anderen Seite «Vogelschäden an landwirtschaftlichen Kulturen, an Gebäuden usw. zu vermeiden oder doch wenigstens zu verringern».

Dieser Text ist ein leicht abgeänderter Auszug aus dem Buch «100 Jahre Schweizerische Vogelwarte Sempach». Die Chronik schildert, was aus der Idee der Gründer geworden ist, wie sich die Vogelwarte vom ehrenamtlich geführten Einmannbetrieb zur prosperierenden Stiftung für Vogelkunde und Vogelschutz entwickelt und was sie in diesen ersten hundert Jahren schon alles erreicht hat.
Das Buch kann für 100 CHF bezogen werden unter www.vogelwarte.ch/shop

Auch legte Alfred Schifferli schon damals Wert auf ein Zusammenspiel von Forschung und Umsetzung sowie die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren: «Erkenntnisse aus der Vogelzugforschung, der Faunistik und der Ökologie sowie das Wissen um im Ausland erzielte Ergebnisse müssen zum Lösen von Problemen der angewandten Ornithologie herangezogen werden können. Zudem ist ein enger Kontakt mit landwirtschaftlichen, jagdlichen, vogel- und naturschützerischen Kreisen notwendig. Es ist deshalb sehr zu begrüssen, wenn die angewandte Ornithologie, wie sie jetzt auf der Vogelwarte Sempach als neues Ressort geschaffen wurde, unter demselben Dach mit der wissenschaftlichen Forschung in enger Zusammenarbeit sich ihrer Aufgaben widmen kann.»

Die Vogelschutztätigkeiten folgten einer Mischung aus konzeptionell geleiteter Arbeit, Ergreifen von Opportunitäten und Reaktionen auf politische oder gesellschaftliche Bedürfnisse. Bis in die 1960er-Jahre war der Schutz von Feuchtgebieten prioritär. Als die Bestände der Vögel im Landwirtschaftsgebiet stark abnahmen, wurde diese Problematik zu einem Schwerpunkt und ist es bis heute.

Die Vogelwarte hat sich immer davon leiten lassen, als Fachinstitut mit wissenschaftlichen Grundlagen in einen Dialog mit den verschiedenen Akteuren zu treten. Wenn immer möglich hat sie die Erfolge oder Misserfolge in ihren Projekten mit Umsetzungs- und Wirkungskontrollen überprüft, obwohl dies im Rahmen von Auftragsprojekten oft nicht vorgesehen war und auch nicht finanziert wurde. Je nach Vogelart waren die Ausgangslage, das Vorgehen und auch der Erfolg ganz unterschiedlich. Bei manchen Arten wurden Fördermassnahmen ergriffen, die mit den vorhandenen Kenntnissen erfolgreich waren, z. B. beim Turmfalken. Bei anderen Arten war das Wissen über ihre Ökologie zu Beginn unzureichend, etwa beim Ziegenmelker, und der Erfolg stellte sich erst ein, als die Forschung aufholte, zum Beispiel beim Auerhuhn. Bei wieder anderen Arten, wie dem Waldlaubsänger, wurden zuerst die ökologischen Ansprüche erforscht, bevor man sich an Schutzmassnahmen wagte, oder sie wurden, wie beim Kiebitz, durch parallele Forschung laufend verbessert. Oft ging es darum, wie beispielweise beim Braunkehlchen, mit dem vorhandenen ökologischen Wissen entwickelte Fördermassnahmen im Freiland auf ihre Praxistauglichkeit zu testen.

Die Vogelwarte ist sowohl der Vogelkunde als auch dem Vogelschutz verpflichtet, und somit sind ihre Fördermassnahmen fachlich abgestützt. In vielen Fällen beruhen sie auf eigenen Forschungsergebnissen. So wird die viel beklagte Kluft zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und ihrer Anwendung in der Praxis überwunden.

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