Auenwälder sind Vogelparadiese

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Eine hohe Lebensraumvielfalt mit Anrissstellen am Ufer, Kiesbänken, Rohrglanzgras, Weichholz- und Hartholzaue zeichnet diese Aue im Umiker Schachen AG aus. © Claudia Müller

Auenwälder sind durch die Dynamik von Gewässern geprägt, was sie zu den artenreichsten Wäldern Europas macht. In den letzten 200 Jahren wurden viele Auenwälder zerstört oder ihre Dynamik wurde unterbunden. Heute sind sie bei uns meist nur kleinflächig vorhanden. Eine Renaturierung ist vielerorts dringend nötig, um die Artenvielfalt zu erhalten.

Auen sind Hotspots der Biodiversität. Das liegt an der Vielfalt der Habitate, die von der Dynamik der Gewässer hervorgerufen und laufend beeinflusst wird. Neben einem mehr (Flussauen) oder weniger (Seeauen) dynamischen Gewässerraum bestehen klassische Auen aus einem Uferbereich mit Pionierkrautfluren, der anschliessenden, regelmässig überschwemmten Weichholzaue und einer gewässerferneren, seltener überfluteten Hartholzaue.

Seit 1850 sind in der Schweiz primär durch Gewässerkorrektionen gut 70 % der Auen zerstört worden. Heute beträgt die Auenfläche in der Schweiz noch etwa 233 km2, zerstückelt in viele Teilgebiete. Die verbliebenen Auenreste sind oft in schlechtem Zustand, weil die Gewässerdynamik weitgehend fehlt. Abhilfe könnten hier die Revitalisierungsprojekte schaffen, die seit der Jahrtausendwende in verschiedenen Regionen durchgeführt werden und auch im Hochwasserschutz eine immer wichtigere Rolle spielen (z.B. Auenlandschaft Thurmündung ZH).

Die Entwicklung von fünf typischen Auenwaldarten seit 2000 lässt sich mit den jährlichen Bestandsaufnahmen im Rahmen des Projekts «Monitoring Brutvögel in Feuchtgebieten» (MF) in Flächen mit bedeutendem Auenwaldanteil verfolgen. Turteltaube, Weidenmeise und Fitis sind seit 2000 seltener, die Nachtigall hingegen häufiger geworden. Der Bestand des Pirols blieb trotz Fluktuationen recht stabil. Die Bestandsentwicklungen dieser Arten in den fünf Gebieten entsprechen weitgehend den für die ganze Schweiz beobachteten Trends.

Auch wenn viele Auenwälder in der Schweiz auf kleine Restflächen geschrumpft sind, bleiben sie artenreiche Lebensräume. Beispielsweise wurden im Auengebiet Aarau – Wildegg AG auf 270 ha (234 ha Landfläche) 2013 und 2014 jeweils 62 Vogelarten und 1633 bzw. 1871 Reviere festgestellt. Im benachbarten Gebiet Wildegg – Brugg AG waren es auf 315 ha (206 ha Landfläche) 2015 und 2016 65 Arten mit 2225 Revieren bzw. 66 Arten mit 2510 Revieren. Ähnlich hohe Arten- und Revierzahlen wurden in deutschen Auenwäldern im Naturpark Rheinland gefunden. Zudem war dort die Siedlungsdichte (nicht aber die Artenzahl) der Vögel im Hartholzauenwald höher als in anderen Laubwäldern.

Die Beispiele zeigen, dass Auenwaldreste immer noch Vogelparadiese sind. Um das Lebensraumpotenzial von Auenwäldern zu erhöhen, sollte ihnen die nötige Dynamik zurückgegeben werden. Inzwischen gibt es in der Schweiz einige Vorzeigeprojekte, wie etwa die Thurmündung ZH, der Pfynwald VS und der Auenschutzpark Aargau. Diesen folgen in den nächsten Jahren hoffentlich noch viele weitere. Mit dem 2011 revidierten Gewässerschutzgesetz wurden die Weichen dazu gestellt. Nun gilt es, dieses zügig umzusetzen.

 

Bestandsentwicklung von fünf auentypischen Vogelarten 2000–2016 in fünf Gebieten mit bedeutendem Auenwaldanteil: Bolle di Magadino TI, Chablais bei Galmiz FR, Glattaltläufe bei Oberglatt ZH, Grande Cariçaie und Häftli BE. Dem Jahr 2000 wurde der Indexwert 100 zugewiesen; die Zahlen nach den Artnamen geben die Gesamtzahl der Reviere pro Art im Jahr 2016 an.

Text: Gilberto Pasinelli, Claudia Müller & Pierre Mollet


Zitiervorschlag des Atlas online:
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