Die Rückkehr des Bartgeiers

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Dieser junge Bartgeier stammt aus einem Horst im Oberengadin GR. © David Jenny

Einst im ganzen Alpenbogen ausgerottet, besiedelt der Bartgeier heute wieder weite Teile der Walliser und Bündner Alpen. Die geglückte Wiederansiedlung des grössten Greifvogels der Schweiz steht stellvertretend für grenzüberschreitende Zusammenarbeit beim Schutz und bei der Förderung von Greifvögeln.

Die Situation der Geier weltweit ist besorgniserregend. Die Rückkehr des Bartgeiers in den Alpen ist hingegen eine Erfolgsgeschichte und gehört damit zu den positiven Ausnahmen unter den Geiern.

Noch um 1850 war der Bartgeier in weiten Teilen der Alpen verbreitet. Aufgrund direkter, durch Abschussprämien geförderter Verfolgung schrumpfte die Population rasch und starb gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus. Der letzte Brutnachweis in der Schweiz stammt von 1886 bei Vrin GR. Heute ist der Bartgeier in den Alpen dank eines internationalen Wiederansiedlungsprojekts wieder präsent.

Die Wiederansiedlung einst verschwundener Arten ist ein letztes Mittel im Naturschutz, aber nur unter strengen Voraussetzungen umzusetzen. Die folgenden Grundbedingungen sind beim Bartgeier für den Alpenraum erfüllt: Die Ursachen für dessen Verschwinden sind bekannt (direkte Verfolgung) und heute weitgehend behoben, die Habitatqualität ist gut (Nahrungsangebot, Brutplätze) und die Chance für eine natürliche Wiedereinwanderung besteht kaum.

Der Schweiz kommt durch ihre zentrale Lage im Alpenraum eine wichtige Rolle bei der Wiederansiedlung des Bartgeiers zu, wie die Lage der Brutplätze zeigt.

© Quelle: International Bearded Vulture Monitoring, Hintergrundkarte: Natural Earth, Stamen Design & OpenStreetMap

1986 wurden die ersten Bartgeier aus einem europaweiten Zuchtprogramm in den Hohen Tauern A ausgesetzt. Es folgten alljährliche Freilassungen in Hochsavoyen F, in den Meeralpen F/I und im Schweizerischen Nationalpark GR (1991–2007). In der Schweiz koordiniert die Stiftung Pro Bartgeier die Auswilderungen. Bis 2017 wurden an drei Orten insgesamt 45 Jungvögel aus dem Zuchtprogramm freigelassen.

Erste Freilandbruten gelangen 1997 in Hochsavoyen, 1998 in den Zentralalpen bei Bormio I und ab 2007 auch in der Schweiz, als drei erfolgreiche Bruten stattfanden. Seither kommen alljährlich meist 1–2 neue Paare hinzu. Ein intensives Monitoring der Brutpaare durch die Stiftung Pro Bartgeier liefert die Grundlagen für weitere Schutzmassnahmen. Der schweizerische Bestand umfasste 2017 rund 40 % der Alpenpopulation. Trotz positivem Trend bleibt der kleine Bestand fragil. Illegale Abschüsse sind selten geworden, kommen aber noch vor (1997 bei Crans-Montana VS, 2008 bei Samnaun GR).

Ansiedlungen neuer Brutpaare erfolgen meist in der näheren Umgebung ihrer Herkunft (Freilassungsort, Geburtshorst). Aufgrund ihrer Ferne zu den Kerngebieten sind andere Alpenregionen wie die Innerschweiz und das Tessin bisher unbesiedelt geblieben. Mit den Aussetzungsorten in den östlichen (Calfeisental SG, 2010–2014) und in den Zentralschweizer Alpen (Melchsee-Frutt OW, ab 2015) werden hier Grundsteine für neue Populationskeime gelegt. Das Ziel des Wiederansiedlungsprojekts ist eine flächige Besiedlung der Alpen und eine Vernetzung mit der vitalen Pyrenäenpopulation, aber auch mit den kritischen Beständen auf Korsika und Kreta.

Text: David Jenny


Zitiervorschlag des Atlas online:
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