Brutgebiete und Winterquartiere von Wasservögeln

bild

Rolf Hauri überwachte die Reiherentenpopulation am Lenkerseeli im Berner Oberland intensiv und konnte zeigen, dass oft nur die Hälfte der Weibchen Junge führt. © Verena Keller

Die Schweiz beherbergt im Winter rund eine halbe Million Wasservögel. Zur Brutzeit sind es deutlich weniger, und nur wenige Arten brüten regelmässig in grösserer Zahl, denn Gewässer mit geeigneten Bruthabitaten gibt es in der Schweiz nicht allzu viele. Dies zeigt sich gut am Beispiel der Enten.

Die Schweiz ist ein gewässerreiches Land. Die Seen im Mittelland frieren selten zu und trocknen nie aus, so dass im Winter immer Nahrung für Wasservögel zugänglich ist. Deshalb ist die Schweiz für Wasservögel im Winter attraktiv. Ein gutes Überwinterungsgebiet für Enten ist aber nicht immer auch zum Brüten geeignet, da zum Brüten geschützte Nest- und Aufzuchtstandorte benötigt werden. Das sind beispielsweise Röhrichtflächen oder Inseln, die viele Arten gerne zum Brüten nutzen, weil sie dort vor Bodenfeinden besser geschützt sind als am Ufer. Diese sind aber wegen der oft grossen Gewässertiefen unserer Gewässer selten. Wie attraktiv sie für brütende Enten sind, zeigen die künstlichen Inseln am Neuenburgersee oder im Reussdelta UR, die von mehreren Entenarten zum Brüten genutzt werden. Schutz vor Feinden bieten auch Sumpfgebiete mit einem hohen Wasserstand und kleinen offenen Wasserflächen, wo Enten gerne ein in Seggenbülten verstecktes Nest bauen. Solche Lebensräume sind heute aufgrund der Trockenlegung von Sümpfen und Uferverbauungen selten geworden.

Es gibt nur wenige Gebiete, wo neben der Stockente gleich mehrere Entenarten brüten. Der obere Zürichsee mit dem benachbarten Kaltbrunner Riet SG fällt besonders auf. Hier brüteten 2013–2016 Eider-, Kolben-, Tafel-, Reiher-, Knäk- und Löffelente, sechs der zehn selteneren Entenarten. Im grenzüberschreitenden Gebiet Ermatinger Becken TG – Wollmatinger Ried D wurden Bruten von Kolben-, Moor-, Reiher-, Knäk- und Schnatterente nachgewiesen.

Jede der zehn selteneren Entenarten (Eiderente, Mandarinente, Kolbenente, Tafelente, Moorente, Reiherente, Knäkente, Löffelente, Schnatterente, Krickente) hat ihre spezifischen Ansprüche an den Lebensraum. Es gibt jedoch Überlappungen, da die meisten Entenküken auf Insekten und andere Wirbellose als Nahrung angewiesen sind. Die artenreichsten Regionen (Anzahl Entenarten ohne Stockente) in der Periode 2013–2016 zeichnen sich durch strukturreiche Feuchtgebiete an oder in der Nähe der grösseren Seen aus.

Vom Wintergast zum Brutvogel

In der Schweiz ist unter den Enten nur die bezüglich ihrer Habitatwahl sehr anpassungsfähige Stockente häufig und weit verbreitet. Die übrigen Entenarten sind seltene Brutvögel. Auf den Überwinterungsgewässern sind regelmässig einzelne Vögel oder kleine Trupps von Enten zu beobachten, die den Sommer bei uns verbringen. Oft sind es letztjährige Jungvögel, die noch nicht brüten, manchmal verletzte Individuen oder solche, deren Kondition zu schlecht ist, um ins Brutgebiet zurück zu fliegen. Ab und zu kommt es dann auch zu Bruten, meist aber nur einzelne wie bei der Eiderente. Nur Kolben- und Reiherente haben es geschafft, sich in der Schweiz zu etablieren und Bestände von mehreren hundert Paaren aufzubauen. Die Tafelente hingegen, die sich im Winter oft mit den beiden Arten vergesellschaftet, ist ein seltener und lokaler Brutvogel geblieben. Weshalb dies so ist, bleibt unklar, denn in Gebieten wie der Doñana in Spanien, den Dombes in Frankreich oder den Fischteichen in Tschechien brüten Kolben- und Tafelenten nebeneinander. Möglicherweise spielt das Paarungssystem eine Rolle. Während sich Kolbenenten bereits im Winterquartier verpaaren und die Paare somit rasch neue Gebiete besiedeln können, ist dies bei Tafelenten oft erst auf dem Frühlingszug oder im Brutgebiet der Fall. Nicht nur Enten haben die Schweiz erst als Wintergäste besucht und sich dann als Brutvögel etabliert. Andere Beispiele unter den Wasservögeln sind Mittelsäger, Gänsesäger und Schwarzhalstaucher.

Schwierige Erfassung des Brutbestands

Das zeitgleiche Auftreten später Wintergäste und früher Brutvögel erschwert die Erfassung der Brutbestände. Um die Gefahr zu verringern, dass übersommernde Individuen als Brutvögel gezählt werden, wurde bei selteneren Enten, aber auch bei anderen Wasservögeln die Schwelle für einen Nachweis in allen Schweizer Atlanten hoch gesteckt: Es braucht einen Brutnachweis. Da Nester nicht aktiv gesucht werden, sind dies in den meisten Fällen Familien (Atlascode 13); nur auf den künstlichen Inseln am Neuenburgersee werden systematisch auch Nester erfasst.

Atlasquadratkarte von Tafelente (links) und Reiherente (rechts) unter Berücksichtigung der möglichen und wahrscheinlichen Bruten (Stichdatum: 10. Mai). Bei der Tafelente kommen verhältnismässig viele zusätzliche Quadrate hinzu, in denen aber zum Teil noch nie eine Brut nachgewiesen wurde. Bei der häufigeren Reiherente bildet die Karte mit den sicheren Bruten die Verbreitung gut ab.

Für die Dokumentation der Bestandsentwicklung ist die konservative Herangehensweise mit einer Beschränkung auf sichere Bruten problematisch, da damit nur der Bruterfolg erfasst wird und dieser von Jahr zu Jahr stärker schwankt als der Bestand. Das Brutgeschäft kann aus verschiedenen Gründen scheitern. Gelege gehen aufgrund von Wasserstandsschwankungen und Prädation häufig verloren, und von den geschlüpften Jungen verschwinden viele rasch. Entenfamilien halten sich oft gut versteckt in der Vegetation auf und sind dann kaum zu entdecken. Erschwerend kommt hinzu, dass sich vor allem bei Reiherenten die Familien oft zusammenschliessen. Nestparasitismus, das Legen von Eiern in die Nester anderer Weibchen der gleichen oder einer anderen Art, ist besonders für die Kolbenente bekannt. Die daraus resultierenden gemischten Familien erschweren die Zählung ebenfalls. Der effektive Brutbestand wird aus diesen Gründen oft unterschätzt. Für Kolben- und Reiherente erscheint eine Verdoppelung der gemeldeten Anzahl sicherer Bruten für die Schätzung des Brutbestands realistisch. Die systematische Zählung der Paare zu Beginn der Brutsaison, wie dies beispielsweise in Finnland gemacht wird, könnte die Bestandsentwicklung besser abbilden.

Text: Verena Keller


Zitiervorschlag des Atlas online:
Knaus, P., S. Antoniazza, S. Wechsler, J. Guélat, M. Kéry, N. Strebel & T. Sattler (2018): Schweizer Brutvogelatlas 2013–2016. Verbreitung und Bestandsentwicklung der Vögel in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein. Schweizerische Vogelwarte, Sempach.

Literatur

Antoniazza, M. (in Vorb.): Bilan des recensement ornithologiques jusqu'en 2015. Association de la Grande Cariçaie, Cheseaux-Noréaz.

Birrer, S. (1991): Besiedlung der Schweiz durch die Reiherente Aythya fuligula bis 1990. Ornithol. Beob. 88: 321–335.

Géroudet, P. (1991): Les mouvements transcontinentaux de jeunes Eiders à duvet (Somateria mollissima) en 1988 et leurs suites. Nos Oiseaux 41: 1–38.

Glutz von Blotzheim, U. N. (2013): Die Wasservögel und Limikolen des Urnersees: Phänologie, Bestandsentwicklung, home range-Nutzung, Legebeginn, Bruterfolg und anthropogene Einflüsse. Ornithol. Beob. 110: 113–166.

Hauri, R. (1997): Die Wasser- und Sumpfvögel des Lenkerseelis, Berner Oberland. Ornithol. Beob. 94: 81–114.

Keller, V. (2014): Vom Wintergast zum regelmässigen Brutvogel: Brutbestand und Verbreitung der Kolbenente Netta rufina in der Schweiz. Ornithol. Beob. 111: 35–52.

Pöysä, H. (1996): Population estimates and the timing of waterfowl censuses. Ornis Fenn. 73: 60–68.

Schmid, H., C. Müller & B. Volet (2016): Die Entwicklung der Vogelwelt im Urner Reussdelta. Schweizerische Vogelwarte, Sempach.

Themen
Gewässer & Feuchtgebiete
Bestandsüberwachung
abnehmende Arten
neue aufgetretene Arten
zunehmende Arten
Atlas bestellen