Schwierige Koexistenz mit Gebäudebrütern

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Renovationen bieten auch Chancen: Mit temporären Nistmöglichkeiten lassen sich Seglerkolonien am traditionellen Brutplatz halten. Nach der Renovation stehen idealerweise mehr und besser geeignete Nistplätze zur Verfügung. © Sandra Schweizer

Felsen, an denen typische Felsbrüter wie Greifvögel, Segler oder Schwalben nisten könnten, fehlen vielerorts ganz oder sind zumindest rar. Als der Mensch begann, «künstliche Felsen» zu bauen, wagten Felsbrüter bald den Sprung an die Gebäude. Heute gibt es viele Gebäudebrüter in Städten und Dörfern. Sie sind jedoch stark von der Toleranz der Menschen abhängig.

Die meisten unserer Gebäudebrüter nisteten früher ganz oder wenigstens zu einem sehr erheblichen Teil an Felsen. Mit dem Aufkommen erster grösserer Bauten im Altertum, etwa der Akropolis, Amphitheatern und Aquädukten, eröffneten sich für die Felsbrüter und andere Siedlungsbewohner neue Chancen. Rauchschwalben galten in der Antike mindestens in Griechenland und Italien schon als weit verbreitet. Mit der Entstehung von Siedlungen konnten Felsbrüter aus Osteuropa und dem westasiatisch-mediterranen Raum in Mitteleuropa Fuss fassen. Weite Gebiete Mitteleuropas waren grösstenteils bewaldet und boten – mit Ausnahme einzelner baumbrütender Dohlen und Mauersegler – diesen Arten zuvor keine Nistplätze. Heute sind in der Schweiz einige Arten praktisch vollständig oder zum grössten Teil auf Gebäude als Brutplätze angewiesen: Mauer-, Fahl- und Alpensegler, Rauch- und Mehlschwalbe, Haus- und Italiensperling. Bei anderen Arten, etwa Bachstelze, Hausrotschwanz, Grauschnäpper und Dohle, nutzt ein Teil der Population Gebäude zum Brüten. Gänsesäger, Wanderfalke, Mittelmeermöwe und Felsenschwalbe nisten immer häufiger in, auf bzw. an Gebäuden.

Anhaltende Entwicklung bei der Besiedlung von Gebäuden

Wann welche Vogelart wo zum ersten Mal an Gebäuden brütete, ist nicht bekannt. Beim Haussperling wird davon ausgegangen, dass er in Mitteleuropa mit dem Aufkommen der Agrarwirtschaft in frühgeschichtlicher Zeit zum steten Begleiter des Menschen geworden ist. Auch haben Menschen die Ansiedlung von nischenbrütenden Vögeln teilweise schon vor Jahrhunderten bzw. Jahrtausenden kultiviert, wie Taubentürme aus dem Orient und speziell für Segler errichtete Türme in Italien belegen. Die Menschen hatten rasch gelernt, dass sich Vögel auf diese Weise einfach anlocken und zu kulinarischen Zwecken verwenden liessen.

Verbürgt ist in der Schweiz einzig für den Alpensegler, dass dieser schon um 1768/1769 in Bern am Münster eine grosse Kolonie hatte, ferner eine am Christoffelturm, und dass die Jungen «ein niedliches Essen» wären. Die Ausbreitung der Alpensegler in der Schweiz scheint allerdings zögerlich erfolgt zu sein. Erst mit dem Abbruch des Christoffelturms und den Bauarbeiten am Berner Münster um 1890, welche die Vögel von ihren Brutplätzen fernhielten, scheint eine Ausbreitungswelle in Gang gesetzt worden zu sein. So wurden 1892 erstmals Bruten in Luzern, 1911 in Zürich und 1922 in Schaffhausen gefunden. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ging es mit den Gebäudebrütern unter den Alpenseglern aufwärts und nach und nach wurden rund 70 Ortschaften besiedelt.

Bei der Felsenschwalbe waren Gebäudebrüter im Kanton Wallis seit 1919 bekannt, galten aber bis 1970 als Ausnahmen und dann bis 1982 immer noch als selten. Deutlich häufiger geworden sind sie erst seit etwa 1994. Die Felsenschwalbe hat ihren Schweizer Bestand seit 2003 um rund 60 % vergrössert. In Alpentälern scheint sie sowohl an Felsen wie auch an Gebäuden zuzunehmen. Gebäude als Kunstfelsen werden wohl hauptsächlich opportunistisch, meist in relativer Nähe von ursprünglichen Brutstandorten genutzt. Zunehmend dringt die Felsenschwalbe auch ins Mittelland vor, wo sie neben Felsen und Brücken auch Hochbauten besiedelt. Doch insgesamt blieben neue Besiedlungen ausserhalb des alpinen Hauptverbreitungsgebiets bislang eine eher marginale Erscheinung.

Bei anderen Arten erfolgten die ersten Brutversuche an Gebäuden in der Schweiz erst ab den Neunzigerjahren, so beim Wanderfalken 1991 und bei der Mittelmeermöwe 1994.

Felsenschwalben, die an Gebäuden brüten (schwarze Punkte), sind vor allem im bisherigen Brutgebiet im Alpenraum verbreitet. Ausserhalb davon sind sie deutlich seltener.

Moderne Bauweise – ein Problem

Baustile und Zusammensetzung der Bausubstanz sind je nach Region sehr verschieden. Mit Steinplatten bedeckte Häuser wie im Tessin oder Engadin GR bieten Mauerseglern zahlreiche Brutmöglichkeiten. In der Zentralschweiz hingegen ist die Konstruktion vieler Gebäude ungünstig, so dass Mehlschwalben Mühe bekunden, ihre Nester anzubringen. Und die in den letzten Jahren aufgekommenen Offenställe behagen der Rauchschwalbe nicht.

Die Alpensegler haben das Glück, dass sie meist an prominenten Gebäuden in Kolonien brüten und eine gewisse Popularität in der Bevölkerung geniessen. Deshalb werden geplante Renovationen und Gebäudesanierungen oft frühzeitig als mögliches Problem für die Alpensegler erkannt. So lassen sich in der Regel zeitig Lösungen für eine Schonung und Erhaltung einer solchen Kolonie finden. Die Brutstandorte des Mauerseglers in unseren Städten und Dörfern hingegen sind zahlreich und auf verschiedenste Gebäude verteilt. Sie bei Renovationen zu bewahren oder genügend neue zu schaffen, ist eine Daueraufgabe. Daher gibt es mancherorts kommunale Seglerinventare.

Für Mauersegler und die meisten übrigen Gebäudebrüter entstehen als Folge der heutigen «perfekten» Bauweise kaum neue Nischen. Wegen hoher ästhetischer Ansprüche, der verwendeten Baumaterialien und möglicher Probleme mit der Isolation ist es oft auch schwierig, hier Nistplätze einzubauen.

Die Dohle brütet in Höhlungen von alten Bäumen, Felswänden und Gebäuden. Sie ist abhängig von Fördermassnahmen an Gebäuden und rücksichtsvollen Sanierungen.

© Marcel Burkhardt

Urbanisierung und fehlende Toleranz verdrängen Gebäudebrüter

Die landesweit intensive Bautätigkeit bringt für Gebäudebrüter weitere Schwierigkeiten mit sich: Durch das verdichtete Bauen verschwinden Nahrungsplätze beispielsweise für Turmfalke, Dohle, Gartenrotschwanz, Grauschnäpper und Haussperling. Die verfügbare Nahrung im urbanen Raum ist knapp, teilweise zu wenig eiweissreich oder muss über grössere Distanz herangeschafft werden. Deshalb haben Dohlen in städtischen Gebieten einen schlechten Bruterfolg. Auch die Bestände der Haussperlinge gehen in vielen Städten Mitteleuropas zurück. Weil die meisten Wege und Vorplätze geteert sind, findet die Mehlschwalbe nicht genügend Nistmaterial. Mit der Errichtung grosser Glasflächen steigt für viele Arten das Risiko für tödliche Kollisionen.

Für die traditionellen Gebäudebrüter sind die Bedingungen – auch wegen fehlender Toleranz durch den Menschen – vielerorts schwierig geworden. Dass ihre Bruten gemäss dem Bundesgesetz über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel geschützt wären, bleibt dabei (zu) oft unbeachtet.

Text: Hans Schmid


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