Vielfältige Vogelwelt der Rebberge

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Kleinstrukturen wie Trockensteinmauern, Hecken und Trockenrasen in Weinbaugebieten fördern die Vogelwelt. © Julien Mazenauer

Heidelerche, Zaunammer, Wendehals, Wiedehopf und Bluthänfling – trotz intensiver Bewirtschaftungsweise können Rebberge diesen selten gewordenen Vogelarten einen Lebensraum bieten. Eine partielle Bodenbegrünung zwischen den Rebzeilen in Kombination mit Heckenstrukturen fördert die Vogelwelt sowohl im Sommer- als auch im Winterhalbjahr.

Südexponierte, sonnendurchflutete Hänge in tiefen Lagen, die von kontinentalem Klima geprägt sind, bieten in der Schweiz beste Bedingungen für den Anbau der Weintraube. Obwohl im Wallis bereits vor rund 2000 Jahren erste Reben kultiviert wurden, sind Rebberge vor allem im Lauf des 20. Jahrhunderts stark vergrössert worden. Natürliche Habitate wie Felsensteppen und lichte Trockenwälder, aber auch traditionell genutzte Kulturen wie Hochstamm-Obstgärten, extensive Wiesen und Weiden mussten weichen. Heutzutage werden Reben vielerorts flächendeckend kultiviert und dominieren das Landschaftsbild, besonders in den inneralpinen Trockentälern (Wallis, Rheintal), entlang des Genfersees und am Jurasüdfuss. In der Schweiz sind rund 157 km2 als Weinbaufläche deklariert; dies entspricht rund 1,5 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Doch trotz des flächenmässig geringen Anteils und der oft intensiven Bewirtschaftungsweise können Rebberge lokal einen bedeutenden Lebensraum für seltene Vogelarten darstellen.

Wertvolle Landschaftselemente eines Rebbergs

Trockensteinmauern, Einzelbüsche, Niederhecken und artenreiche Trockenrasen sind wichtige Strukturen für Vogelarten, die wegen ihres Bestandsrückgangs mittels spezieller Projekte gefördert werden sollten. Zu diesen Prioritätsarten gehören beispielsweise Gartenrotschwanz und Neuntöter. Allerdings reichen solche Landschaftselemente meist nicht aus, um diese Arten wirksam zu fördern. Erst in Kombination mit einer nachhaltigen und biodiversitätsfreundlichen Bewirtschaftung der Rebparzellen entfalten diese Elemente ihre positive Wirkung. Innerhalb der Produktionsflächen stellt eine artenreiche Bodenbegrünung mit einer vielfältigen Insektennahrung die wichtigste biodiversitätsfördernde Massnahme dar, was eine gleichzeitige Reduktion des Herbizideinsatzes verlangt. Heidelerche und Bluthänfling sind typische Brutvogelarten, die in den letzten Jahrzehnten von der Zunahme der Begrünung in Rebbergen profitiert haben.

Für den schweizerischen Bestand von Heidelerche, Wendehals und Wiedehopf bilden Rebberge einen wichtigen Lebensraum. Während der Brutzeit findet die Futtersuche vorzugsweise in nur teilweise begrünten Rebbergen statt, in denen Insekten am Boden und in der lockeren Vegetation leicht entdeckt und erbeutet werden können. Das Optimum liegt bei rund 50 % Begrünung, d.h. jede zweite Rebzeile ist begrünt. Bei der Heidelerche steht diese Präferenz bei der Futtersuche im Gegensatz zur Vorliebe für den Neststandort am Boden, der in dichter und hoher Vegetation liegt. Eine mosaikartige Vegetationsstruktur, hervorgegangen aus einer spontanen Vegetationsentwicklung, scheint somit essenziell, um den vielfältigen Bedürfnissen der Heidelerche während ihres Lebenszyklus gerecht zu werden. Für Wendehals und Wiedehopf ist es wichtig, dass viel Vegetation kurz bleibt, damit die Insekten auch erreichbar sind. Dies kann mit alternierender Mahd oder Bodenbearbeitung in jeder zweiten Rebzeile erreicht werden, was ebenfalls eine vielfältige Vegetationsstruktur fördert.

Für die Heidelerche sind Rebberge der wichtigste Lebensraum in der Schweiz.

© Ralph Martin

Die Zaunammer ist eine weitere Prioritätsart, die ihren Verbreitungsschwerpunkt in reich strukturierten Rebbergen hat, insbesondere am Jurasüdfuss, am Genfersee und im Zentralwallis. Hier bieten Einzelbäume und Büsche Deckung und Nistmöglichkeiten und begrünte Rebberge bieten ganzjährig genügend Nahrung.

Von partiell begrünten Rebbergen profitieren diverse Vogelarten sowohl im Sommer- als auch im Winterhalbjahr.

© Laura Bosco

Artenreiche Vogelwelt im Winterhalbjahr

Im Winterhalbjahr werden die südexponierten, häufig schneefreien Hänge von vielen Finken (z.B. Buchfink, Grünfink, Stieglitz, Girlitz) und Drosseln (z.B. Misteldrossel, Wacholderdrossel) besucht. Die Vorliebe für Kleinstrukturen, insbesondere Hecken und Feldgehölze, ist im Winter noch ausgeprägter als im Sommerhalbjahr. Eine artenreiche Bodenbegrünung spielt auch im Winterhalbjahr eine zentrale Rolle, wobei eine geschlossene Vegetationsdecke bevorzugt wird. Um den ökologischen Ansprüchen unterschiedlichster Vogelarten ganzjährig gerecht zu werden, stellt somit eine partielle Begrünung, wo jede zweite Rebzeile begrünt wird, einen guten Kompromiss dar.

Eine vielfältige Zukunft?

Die Zukunft der Artenvielfalt in den Rebberggebieten ist jedoch ungewiss. Auch in den Rebbergen schreitet die Zersiedelung voran. So werden pflanzen- und tierreiche Südlagen in Siedlungsraum umgewandelt. Der Verlust und die Fragmentierung der verbleibenden Rebbergflächen ziehen negative Effekte auf die Artenvielfalt nach sich. Es gibt aber auch Lichtblicke: Dank finanziellen Anreizen konnte die Fläche begrünter und strukturierter Rebberge in der Schweiz in den letzten Jahren stetig gesteigert werden. Dass selbst im Wallis, wo die Bodenbegrünung aufgrund der geringen Niederschlagsmenge nicht vorgeschrieben ist, rund 20 % der Fläche (rund 10 km2) begrünt werden, stimmt zuversichtlich. Es bleibt zu hoffen, dass nachhaltige Produktionswege, die eine Begrünung der Rebberge und die Reduktion von Pestiziden nach sich ziehen, zum langfristigen Erhalt einer ökologisch wertvollen Kulturlandschaft führen – sowohl zum Wohl der Bevölkerung als auch einer bedrohten Vogelwelt.

Text: Alain Jacot & Laura Bosco


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