Die Schweiz mit einer besonderen Verantwortung

Der zweite europäische Brutvogelatlas (EBBA2) war nur dank dem immensen Einsatz von rund 120 000 Personen möglich, die in 48 Ländern Vögel gezählt haben, teilweise fernab jeglicher Zivilisation. Die Daten- und Erkenntnisfülle erlaubt auch Schlussfolgerungen für die Schweiz. Wie bei uns sind die Kulturlandvögel europaweit in Bedrängnis. Viele Vogelarten wurden durch die fortschreitende Intensivierung der Landwirtschaft weiter zurückgedrängt. Andererseits geht es den Waldvögeln vergleichsweise gut. Ihre Bestände entwickeln sich in der Schweiz ebenfalls mehrheitlich positiv.

Die Ringdrossel kommt in Europa zwar auch in tieferen Lagen vor, aber speziell dort ist das Areal seit den 1980er-Jahren geschrumpft. In der Schweiz zeigt diese Art unterhalb von 2000 m ü.M. deutliche Verluste und darüber leichte Zunahmen.
Die Ringdrossel kommt in Europa zwar auch in tieferen Lagen vor, aber speziell dort ist das Areal seit den 1980er-Jahren geschrumpft. In der Schweiz zeigt diese Art unterhalb von 2000 m ü.M. deutliche Verluste und darüber leichte Zunahmen.
Foto © EBCC
Der Bergpieper weist in Europa besonders in mittleren Lagen und an den Arealrändern Verluste auf. In der Schweiz stieg die mittlere Höhenverbreitung zwischen 1993–1996 und 2013–2016 um rund 40 Meter an.
Der Bergpieper weist in Europa besonders in mittleren Lagen und an den Arealrändern Verluste auf. In der Schweiz stieg die mittlere Höhenverbreitung zwischen 1993–1996 und 2013–2016 um rund 40 Meter an.
Foto © EBCC
Schneesperling
Schneesperling
Foto © Marcel Burkhardt
Der Bestandsindex des Schneesperlings ist trotz Schwankungen negativ. Weil auch das Verbreitungsgebiet klein und fragmentiert ist und sich der Rückgang mit der Klimaerwärmung noch verstärken dürfte, wird die Art in der neuen «Roten Liste der Brutvögel», die in diesem Jahr vom Bundesamt für Umwelt BAFU publiziert wird, neu als «potenziell gefährdet» (NT) eingestuft.
Der Bestandsindex des Schneesperlings ist trotz Schwankungen negativ. Weil auch das Verbreitungsgebiet klein und fragmentiert ist und sich der Rückgang mit der Klimaerwärmung noch verstärken dürfte, wird die Art in der neuen «Roten Liste der Brutvögel», die in diesem Jahr vom Bundesamt für Umwelt BAFU publiziert wird, neu als «potenziell gefährdet» (NT) eingestuft.
Foto © Archiv Vogelwarte

Schweiz als Bergland par excellence

Die Schweiz ist im europäischen Vergleich zwar klein, aber sie hat einen hohen Gebirgsanteil. Die Alpen nehmen rund zwei Drittel der Landesfläche ein. Auch der Jura ist höher als manch höchster Berg in anderen Ländern. Deshalb weist unser Land vor allem bei den Bergvögeln proportional hohe Bestände auf, speziell bei Ringdrossel, Schneesperling, Alpendohle und Bergpieper mit über 10 % und bei der Alpenbraunelle mit über 30 % des europäischen Bestands. Insgesamt sind es knapp 40 Arten, bei denen die Schweiz einen besonders hohen Anteil am europäischen Bestand beherbergt.

European Breeding Bird Atlas 2: distribution, abundance and change

Mit dem neuen europäischen Brutvogelatlas stehen erstmals Verbreitungskarten für ganz Europa zur Verfügung. Es werden auch die Veränderungen über den Zeitraum von 30 Jahren dargestellt. Der 967-seitige Werk kann zum Preis von 90 Euro bezogen werden: www.lynxeds.com/product/european-breeding-bird-atlas-2-distribution-abundance-and-change/.

Bergvögel unter Druck

Für EBBA2 wurden die Brutvogelarten einem Hauptlebensraum zugeteilt. 14 Arten wurden den Gebirgs-Lebensräumen zugeordnet. Die grösste Vielfalt an Arten dieser Gruppe beherbergt der Kaukasus, wo einige spezielle Vogelarten wie Kaspikönigshuhn, Kaukasusbirkhuhn, Riesenrotschwanz und Berggimpel vorkommen. Auch in den Alpen und Pyrenäen ist die Artenvielfalt hoch. Über alle 14 Arten betrachtet erlitten sie seit EBBA1 stärkere Rückgänge in den Karpaten, im Apennin und in den Pyrenäen, aber ebenso in tieferen Lagen der Alpen. Die auch bei uns brütenden Arten dieser Gruppe zeigen bis auf eine Ausnahme allesamt Arealverluste in Europa: Mehr oder weniger ausgeprägt ist dies der Fall bei Alpendohle, Mauerläufer, Alpenbraunelle, Schneesperling und Bergpieper. Diese Verluste stehen unter anderem im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung, denn sie betreffen vor allem Gebirge, die niedriger sind als die Alpen.

Der Klimawandel und die Rolle der Schweiz

Die Klimaerwärmung wirkt sich auch in der Schweiz aus und drängt – zusammen mit Veränderungen der Landnutzung – viele Brutvögel nach oben, wie der Schweizer Brutvogelatlas 2013–2016 gezeigt hat: Die Höhenverbreitung von 71 häufigen Brutvögel hat sich zwischen 1993–1996 und 2013–2016 im Durchschnitt um 24 Meter nach oben verschoben – also um rund einen Meter pro Jahr.

Besorgniserregend ist vor allem, dass viele Bergvogelarten, die in Europa aus einem Teil des Brutgebiets verschwunden sind, auch in der Schweiz Veränderungen in der Höhenverbreitung aufweisen: Ihre Bestände nehmen in tieferen Lagen meist stärker ab als sie in höheren Lage zunehmen, was insgesamt auf Rückgänge hinausläuft.

Die Höhenverschiebung ist vor allem für Arten problematisch, die oberhalb der Waldgrenze brüten, da ihr Lebensraum Richtung Bergspitze immer kleiner wird. Mit dem Verschwinden der Bergvögel aus vielen anderen Gebirgszügen erhalten die Alpen eine zunehmend stärkere Bedeutung für den Erhalt dieser spezialisierten Avifauna. Die Daten aus Europa zeigen: Die Schweiz als zentrales Alpenland muss ihre internationale Verantwortung wahrnehmen und den Schutz der alpinen Biodiversität verbessern.

Besseren Schutz sicherstellen

Eine Möglichkeit wäre hierzu die Verbesserung des Schutzes in den eidgenössischen Jagdbanngebieten, die vor allem in den Alpen liegen. Sie haben das Ziel, seltenen und bedrohten Wildtieren störungsarme Rückzugsgebiete zu bieten. Wenn es gelingt, auch eine angepasste landwirtschaftliche Nutzung ohne Intensivierung zu etablieren, könnten die Jagdbanngebiete eine wichtige Funktion beim Schutz der Bergvögel und der Biodiversität übernehmen. Andernorts gilt es vor allem, den Ausbau touristischer Infrastruktur kritisch zu begleiten. Zentral ist, dass in den Bergen die jetzt noch vorhandene gute ökologische Infrastruktur erhalten bleibt.