Wasservögel: Höchste Temperaturen, tiefste Zahlen

Die Zahl der Wasservögel in der Schweiz inklusive ausländischer Teile von Bodenund Genfersee war im Januar 2023 mit 422 000 Individuen so tief wie seit 1970 nicht mehr. Im November wurden rund 389 000 Individuen gezählt, was einem Minusrekord seit Zählbeginn im November 1991 entspricht.

Bekassinen überwintern alljährlich in verschiedenen Feuchtgebieten der Schweiz.
Bekassinen überwintern alljährlich in verschiedenen Feuchtgebieten der Schweiz.
Foto © Beat Rueegger
Noch nie wurden so wenige Sturmmöwen beobachtet wie im Winter 2022/23.
Noch nie wurden so wenige Sturmmöwen beobachtet wie im Winter 2022/23.
Foto © Marcel Burkhardt
Selbst Anfang Februar war der Silsersee im Oberengadin noch nicht vollständig zugefroren.
Selbst Anfang Februar war der Silsersee im Oberengadin noch nicht vollständig zugefroren.
Foto © bregagliaturismo.roundshot.com/aela
Bestandsentwicklung der fünf häufigsten Arten (Reiherente, Tafelente, Blässhuhn, Lachmöwe, Stockente) und aller anderen Arten, im November (links) und Januar (rechts). Die Säulenhöhe entspricht den aufsummierten Beständen. Während die fünf häufigsten Arten deutlich abnahmen, entwickelte sich die Summe aller anderen Arten bis zu Beginn der 2010er-Jahre in beiden Monaten leicht positiv und ist seither einigermassen stabil.
Bestandsentwicklung der fünf häufigsten Arten (Reiherente, Tafelente, Blässhuhn, Lachmöwe, Stockente) und aller anderen Arten, im November (links) und Januar (rechts). Die Säulenhöhe entspricht den aufsummierten Beständen. Während die fünf häufigsten Arten deutlich abnahmen, entwickelte sich die Summe aller anderen Arten bis zu Beginn der 2010er-Jahre in beiden Monaten leicht positiv und ist seither einigermassen stabil.
Foto © Schweizerische Vogelwarte
Entwicklung der Gesamtbestände (Schweiz inklusive ausländische Teile von Boden- und Genfersee) in den Monaten November und Januar. Im November werden meist weniger Vögel gezählt, die Trends sind jedoch in beiden Monaten ähnlich.
Entwicklung der Gesamtbestände (Schweiz inklusive ausländische Teile von Boden- und Genfersee) in den Monaten November und Januar. Im November werden meist weniger Vögel gezählt, die Trends sind jedoch in beiden Monaten ähnlich.
Foto © Schweizerische Vogelwarte

Milde Winter werden zur Regel

Die kalte Jahreszeit war im Winter 2022/23 europaweit milder als im langjährigen Mittel. Vor allem in Nordeuropa war es übermässig warm (der Oktober war der wärmste bisher, der November immerhin der fünftwärmste), was wohl viele Wasservögel dazu bewog, den Winter weiter nördlich zu verbringen. Auch in der Schweiz erwies sich der Winter als sehr mild. Besonders im November waren die Bestandszahlen unterdurchschnittlich. Gleich mehrere Arten wiesen neue Tiefstzahlen auf, darunter Reiher- und Tafelente mit 39 000 respektive 59 000 Individuen, statt den durchschnittlichen 100 000 respektive 80 000. Bis in den Januar flogen zwar weitere Tauchenten in die Schweiz ein (80 000 Reiherenten und 64 000 Tafelenten), der Negativtrend der letzten 25 Jahre bleibt jedoch klar bestehen. Bei vielen anderen häufigen Arten scheint die Bestandsentwicklung den Trends der letzten Jahre zu folgen. Der Januarbestand der Stockente hat mit knapp 34 000 Individuen einen neuen Tiefststand erreicht, die Abnahme der letzten Jahre scheint sich weiterzuziehen. Die Werte bei Lachmöwe (43 000 Individuen) und Blässhuhn (83 000 Individuen) lagen im Bereich der letzten Jahre.

Einbruch der Zahlen bei nordischen Arten

Der milde Winter schlug sich auch bei den Zahlen einiger seltener Arten nieder. So wurden im November 2022 keine nordischen Meerenten wie Eis-, Trauer- oder Samtente beobachtet. Auch der Zwergsäger blieb komplett aus. Die Brandgans zeigte in den letzten Jahren einen positiven Trend, trotzdem wurde 2022 nur ein einziges Individuum gezählt. Aussergewöhnlich tief waren auch die Ergebnisse für die Sturmmöwe: Nur 49 Individuen wurden im November 2022 in der Schweiz gezählt. Bei der Januarzählung stieg die Zahl auf rund 1100 Individuen an, doch auch dies stellt einen neuen Negativrekord dar. Trotz dem Ausbleiben vieler nordischer Arten wurden einige Freiwillige mit spannenden Arten belohnt. Eine Pfuhlschnepfe verbrachte den ganzen Winter am Genfersee. Auch eine Dreizehenmöwe hielt sich lange in der Region Les Grangettes VD auf. Schliesslich war wie auch im Vorjahr eine Skua bis in den November auf dem Neuenburger- und Bielersee anzutreffen.

Höchststände bei der Spiessente

Doch nicht bei allen Arten wurden so tiefe Zahlen notiert. Bei der Spiessente wurde im November 2022 mit 2700 Individuen eine neue Höchstzahl nachgewiesen. Sowohl im Ermatinger Becken als auch am Neuenburgersee waren die Zahlen im November 2022 aussergewöhnlich hoch. Niedrige Wasserstände machten ausgedehnte Flachwasserzonen für die Art attraktiv. Von den milden Temperaturen konnten auch Arten profitieren, die empfindlich auf gefrorene Böden und vereiste Ufer reagieren. So wurden beim Teichhuhn gleich in beiden Zählmonaten mit jeweils etwa 1300 Individuen ein neuer Rekord registriert. Besonders in kalten Wintern kann es bei diesem Teilzieher aufgrund erhöhter Mortalität zu massiven Bestandseinbrüchen kommen. Auch die Bekassine war zahlreich vertreten. Das Ergebnis der Novemberzählung lag mit etwa 250 Individuen ungefähr im Mittel der letzten zehn Jahre. Im Januar zeigten sich mit 417 gezählten Individuen gleich über 100 Bekassinen mehr als im bisherigen Rekordjahr 2021.

Bestandszunahme bei gebietsfremden Arten

Eine weiterhin starke Zunahme zeigt die Nilgans. Im November wurde mit 185 Vögeln ein neuer 27 Monats-Höchstwert erreicht, im Januar mit 194 Individuen der zweithöchste Wert. Diese gebietsfremde Art dürfte in den kommenden Jahren einen weiteren Anstieg zeigen, da sie z. B. in Deutschland stark zunimmt und auch bei uns als Brutvogel immer neue Gebiete erobert. Bei der Graugans ist dieser Trend ebenfalls ungebrochen.