Vögel und Fischerei

Die Gewässer der Schweiz sind wichtige Lebensräume für zum Teil gefährdete Tier- und Pflanzenarten. Gleichzeitig werden sie vom Menschen in vielfältiger Weise genutzt. Die Fischerei ist eine von vielen Nutzungen, zu denen auch Trinkwasserentnahme, Stromproduktion, industrielle Nutzung, Wassersport, Erholung, Jagd oder Naturbeobachtung gehören. Bei jeder Nutzung kann es zu Konflikten zwischen verschiedenen Interessengruppen oder Konflikten mit den in gesetzlichen Grundlagen formulierten Zielen des Naturschutzes kommen.

Die grösseren fischfressenden Vogelarten geraten von Seiten der Fischerei immer wieder in das Schussfeld der Kritik. Dies trifft vor allem auf Kormoran, Graureiher und Gänsesäger zu. Als Vogelarten, die sich ausschliesslich oder zu einem grossen Teil von Fischen ernähren, werden sie als Konkurrenten gesehen und/oder für den Rückgang von Fischbeständen verantwortlich gemacht. Ein spezieller Konfliktpunkt besteht beim Kormoran, der in der Lage ist, Fische aus den Netzen von Berufsfischern zu reissen und dabei die Netze zu beschädigen.

Umgekehrt besteht ein Konfliktpotenzial zwischen Fischerei und Vogelschutz. Regelmässig ertrinken Wasservögel in Netzen von Berufsfischern. Angelhaken und -schnüre führen zu Verletzungen oder zum oftmals qualvollen Tod von Vögeln. Die fischereilichen Aktivitäten können über Störungen z.B. den Bruterfolg von Wasservögeln verringern. Fischbesatz kann den natürlichen Lebensraum von Vögeln und deren Nahrungsangebot verändern. Auf diese Probleme wird im vorliegenden Positionspapier nicht eingegangen. Es beschränkt sich auf die aktuellen Diskussionspunkte rund um Kormoran, Graureiher und Gänsesäger.

Grundsätze

Die Nahrungsnetze in Gewässern sind vielfältig. Fische und Vögel sind Teil des natürlichen Ökosystems der Gewässer. Dieses gilt es zu erhalten und - wo notwendig - aufzuwerten. Eine fischereiliche Nutzung ist - wie andere menschliche Nutzungen auch - dann zulässig, wenn sie das natürliche Ökosystem nicht beeinträchtigt und nachhaltig ist.

Die Gewässer in der Schweiz sind einer zunehmenden Zahl von Belastungen ausgesetzt. Insbesondere an Fliessgewässern sind die Bestände vieler Fischarten stark zurückgegangen. Mehr als die Hälfte der Fischarten stehen auf der Roten Liste der gefährdeten Tierarten. Die Gründe für den Rückgang vieler Fischarten vor allem an Fliessgewässern sind vielfältig (Verbauung, veränderte Gewässermorphologie, chemische Substanzen, Wasserkraftnutzung, Wassererwärmung u.a.). Wo Fischbestände wegen der Beeinträchtigung ihrer Lebensräume gefährdet sind, kann die Prädation durch Fisch fressende Vogelarten wie auch die Nutzung durch die Fischerei lokal ein zusätzlicher negativer Faktor sein. Im Rahmen eines Artenförderungsprogramms zugunsten gefährdeter Fischarten kann es deshalb sinnvoll sein, auch Massnahmen zum Schutz der Fische vor übermässiger Befischung durch Mensch und Tier zu prüfen.

Massnahmen gegen fischfressende Vögel sind nur dann in Betracht zu ziehen, wenn sie nach neustem Stand des Wissens fachlich begründet sind. Die Anwesenheit von fischfressenden Vögeln und allein die Tatsache, dass sie Fische fressen, ist noch kein Nachweis der Gefährdung der Fischbestände. Massnahmen müssen auch dahingehend überprüft werden, ob sie zielführend und verhältnismässig sind. Zudem muss geprüft werden, ob Eingriffe die betroffenen Vogelbestände nicht gefährden und keine negativen Auswirkungen auf andere Teile des Ökosystems haben.

Wenn Massnahmen gegen Vögel ergriffen werden, müssen sie Teil eines Gesamtpakets von Massnahmen zugunsten gefährdeter Fischarten sein. An natürlichen Gewässern sind in erster Linie Massnahmen zur Verbesserung der Lebensräume für Fische zu ergreifen. Gleichzeitig muss auch das fischereiliche Management überprüft werden, sowohl was den Besatz als auch was die Fangvorschriften betrifft. Falls Massnahmen gegen Vögel ergriffen werden, sind in erster Linie nicht tödliche Massnahmen anzuwenden. In Fischzuchtanlagen stehen technische Einrichtungen im Vordergrund.

Abschüsse oder die Zerstörung von Bruten von Vögeln bedürfen besonders sorgfältiger Abklärungen. Das Bundesgesetz über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel schafft die rechtliche Basis für Eingriffe, wobei es zwischen jagdbaren Arten (Kormoran) und geschützten Arten (Graureiher, Gänsesäger) unterscheidet. Für die jagdbaren Arten sind primär die Kantone zuständig, und Bestände von jagdbaren Arten können - unter Einhaltung einer Schonzeit - reguliert werden. Bei geschützten Arten ermächtigt das Jagdgesetz die Kantone, im Falle von erheblichen Schäden "einzelne schadenstiftende Individuen" abzuschiessen. Eine Regulation der Bestände ist hingegen nur mit Bewilligung des Bundes erlaubt.

Die Schweizerische Vogelwarte ist der Ansicht, dass der Abschuss einzelner schadenstiftender Individuen verantwortet werden kann, wenn sich beispielsweise einige Vögel darauf spezialisieren, Fische aus Fischzuchtanlagen zu entnehmen und wenn nicht-tödliche Vergrämungsmassnahmen erfolglos waren.

Kormoran

Status

Der Bestand des Kormorans ist europaweit angestiegen, nachdem er durch die Jahrhunderte dauernde intensive Verfolgung reduziert und die Art aus weiten Teilen Mitteleuropas völlig verdrängt worden war. In der Folge eines verbesserten Schutzes dehnte der Kormoran sein Verbreitungsgebiet wieder aus. In der Schweiz stieg die Zahl durchziehender und überwinternder Kormorane in den Achtzigerjahren stark an, ging Anfang der Neunzigerjahre wieder zurück und hat sich seither bei einem Januarbestand von 5000–6000 Individuen eingependelt. Seit 2001 brüten Kormorane in der Schweiz. Die erste Kolonie am Fanel am Neuenburgersee ist nach wie vor die grösste. Bis 2018 brütete der Kormoran an insgesamt 20 Orten. Kleinere Kolonien sind jedoch nicht jedes Jahr besetzt. 2018 brüteten insgesamt 2414 Paare in 15 Kolonien. Fast alle Kolonien befinden sich in Naturschutzgebieten an Seen.

Der Kormoran ist in der Schweiz jagdbar. Zwischen 2010 und 2017 wurden gemäss eidgenössischer Jagdstatistik pro Jahr durchschnittlich 1485 Kormorane erlegt (inkl. Spezialabschüsse). Auf der Roten Liste 2010 ist der Kormoran als "nicht gefährdet" (LC) eingestuft.

Konflikte und Massnahmen

Die meisten Kormorane nutzen die Fischbestände der Seen. Ein Einfluss auf die Bestandsentwicklung von Fischbeständen in Seen konnte wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden. An Flüssen gehören auch gefährdete Fischarten, darunter die Äsche, zu den vom Kormoran erbeuteten Fischen. Die Äsche ist europaweit gefährdet, ihre Lebensräume sind in einem schlechten Zustand. Eine zusätzliche Beeinträchtigung der Äschenpopulationen durch Kormorane ist an einzelnen Gewässerabschnitten nicht auszuschliessen, da der Kormoran aufgrund seiner Grösse in der Lage ist, adulte, laichreife Fische zu erbeuten.

Bund, Kantone, Fischerei- und Naturschutzorganisationen, unter Beteiligung der wissenschaftlichen Institutionen EAWAG und Vogelwarte, erarbeiteten 1995 einen Massnahmenplan, der 2005 revidiert wurde. Er basiert auf dem Prinzip, die Kormorane zum Schutz der Äsche an den Flüssen zu vergrämen, an den Seen hingegen nicht einzugreifen. Ein spezielles Problem an den Seen betrifft allfällige Schäden an den Netzen der Berufsfischer, die von Bund und Kantonen nicht vergütet werden. Diese Schäden werden von Berufsfischern vor allem im Sommer als gravierend erachtet. Von Fischereiseite bestehen deshalb Forderungen nach einer Bestandsregulation der Kormorane in den Brutkolonien, insbesondere am Fanel.

Haltung der Vogelwarte

Die Schweizerische Vogelwarte erachtet den Massnahmenplan 2005 nach wie vor als geeignete Grundlage, um den Druck auf die Äschenpopulationen zu mindern, indem er ein gezieltes Vergrämen von Kormoranen insbesondere an Laichplätzen ermöglicht. Eine Regulation der Brutbestände über Abschüsse lehnt die Vogelwarte ab, ebenso die Zerstörung von Bruten. Eingriffe in die Brutkolonien würden auch den Schutzzielen in Vogelschutzgebieten widersprechen. Es ist zudem nicht zu erwarten, dass sich mit einer Zerstörung der Bruten die Netzschäden der Berufsfischer reduzieren lassen bzw. der Fangertrag steigern lässt. Wie Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, sind Eingriffe in die Brutkolonien zudem mit schlecht voraussagbaren Nebenwirkungen behaftet. Insbesondere könnten Kormorane verstärkt neue Kolonien gründen, was in Fischereikreisen unerwünscht ist.

Graureiher

Status

Der Graureiher ist in der Schweiz sowohl Brutvogel als auch Wintergast. Der Brutbestand umfasst 1600–1800 Brutpaare, der Winterbestand beträgt ca. 1500 Individuen. Nationale Erhebungen des Brutbestands zeigen, dass sich die Zahl der Brutpaare seit 2010 landesweit leicht erhöht hat, so wurde manch inneralpine Talschaft neuerdings besiedelt. Der Winterbestand zeigt einen steigenden Trend seit Beginn der Zählungen 1967, nicht zuletzt wohl deshalb, weil mildere und schneeärmere Winter den Graureihern das Ausharren während des Winters erleichtern.

Der Graureiher ist in der Schweiz als "nicht gefährdet (LC)" eingestuft. Die Art ist gemäss eidgenössischem Jagdgesetz geschützt.

Konflikte und Massnahmen

Der Graureiher fischt an Seen, Flüssen und kleinen Bächen, ernährt sich aber auch von Kleinsäugern im Kulturland. Konflikte bestehen insbesondere in Fischzuchtanlagen. Hobbyfischer sehen den Graureiher als Konkurrenten an Bächen und Flüssen. Ein allfälliger Einfluss des Graureihers auf die Bestandsentwicklung von Fischen in Fliessgewässern ist nicht nachgewiesen.

1984 erarbeitete eine nationale Arbeitsgruppe Empfehlungen für die Erteilung von Ausnahmebewilligungen für den Abschuss einzelner schadenstiftender Individuen. Laut diesem sollten solche Abschüsse insbesondere erst dann bewilligt werden, "wenn einerseits der Schaden und andererseits die Unmöglichkeit anderer technischer Abwehrmassnahmen nachgewiesen ist", wobei der Schaden über die Verletzungsrate der Fische gemessen werden soll. Zudem wird eine Erfolgskontrolle gefordert und der Einbezug lokaler Ornithologen empfohlen. Es gibt Hinweise, dass diese Empfehlungen von den Kantonen sehr unterschiedlich gehandhabt werden. Zwischen 2010 und 2017 wurden gemäss eidgenössischer Jagdstatistik pro Jahr 56 Graureiher erlegt.

Haltung der Vogelwarte

Die Schweizerische Vogelwarte erachtet die Empfehlungen von 1984 nach wie vor als geeignete Richtlinie, unter der Voraussetzung, dass sie vollständig umgesetzt werden. Das heisst insbesondere, dass der Schaden belegt sein muss, sich Abschüsse effektiv auf "einzelne schadenstiftende Individuen" beschränken und alle Möglichkeiten nicht-tödlicher Abwehrmassnahmen ausgeschöpft sind. Die Begründungen für die Erteilung von Ausnahmebewilligungen, die Zahl der geschossenen Individuen und die Resultate der Erfolgskontrollen müssen veröffentlicht werden.

Gänsesäger

Status

Die Brutpopulation des Gänsesägers in den Alpen ist geografisch und genetisch eigenständig. Die Schweiz trägt für die Erhaltung dieser Population eine besondere Verantwortung. Der Schweizer Brutbestand nimmt zu und wurde 2013-2016 auf 600–800 Brutpaare geschätzt. Der grösste Teil der Gänsesäger brütet an den Seen der Westschweiz. In den letzten Jahrzehnten hat der Gänsesäger sein Areal Richtung Nordostschweiz ausgeweitet und auch auf der Alpensüdseite zu brüten begonnen. Im Winter gesellen sich zu den einheimischen Brutvögeln Wintergäste aus Nordeuropa. Der Winterbestand beträgt inklusive Grenzgewässer rund 5000 Individuen. Auch im Winter nutzt der Gänsesäger grossmehrheitlich Seen, aber auch Flüsse.

Der Gänsesäger ist auf der Roten Liste 2010 als "verletzlich (VU)" eingestuft und gemäss eidgenössischem Jagdgesetz geschützt.

Konflikte und Massnahmen

Der Gänsesäger wird von Hobbyfischern als Konkurrent empfunden, da er an Fliessgewässern u.a. Forellen frisst. Im Unterschied zum Kormoran nimmt er vor allem die kleineren Grössenklassen, die ohnehin einer hohen natürlichen Mortalität unterliegen. Ein Einfluss auf die Bestandsentwicklung von Fischen in Fliessgewässern ist nicht nachgewiesen. In einigen Kantonen werden Gänsesäger mit Ausnahmebewilligungen geschossen. Zwischen 2010 und 2017 wurden gemäss eidgenössischer Jagdstatistik pro Jahr 30 Gänsesäger geschossen.

Haltung der Vogelwarte

Aufgrund der hohen Verantwortung der Schweiz für die alpine Population des Gänsesägers sind Abschüsse von Gänsesägern grundsätzlich abzulehnen. Ausnahmen von diesem Prinzip dürfen nur äusserst restriktiv und örtlich eng begrenzt im Rahmen von Artenförderungsprojekten zugunsten gefährdeter Fischarten erteilt werden. Voraussetzung dafür ist zudem, dass begründete Hinweise bestehen, dass die Prädation von Gänsesägern den Erfolg des Artenförderungsprojekts in Frage stellt und dass nicht-tödliche Vergrämungsmassnahmen keinen Erfolg gebracht haben. Die Begründungen für die Erteilung von Ausnahmebewilligungen, die Zahl der geschossenen Individuen und die Resultate der Erfolgskontrollen sind zu veröffentlichen.

Obwohl der Gänsesäger auf der Roten Liste als "verletzlich VU" eingestuft ist, sind spezifische Artenförderungsmassnahmen zurzeit nicht notwendig. Die Vogelwarte empfiehlt, auf das Anbringen von Nisthilfen zur Förderung neuer Ansiedlungen zu verzichten.